Hl. Johannes von Kronstadt
„Was sucht ihr?“ [1]
„Was sucht ihr?“ [1]
Der
heilige Apostel Christi Andreas war ursprünglich ein Jünger des
heiligen Johannes des Täufers, der die Menschen vorbereitete auf den
Empfang des Messias. Als der Erlöser heraustrat aus der Wildnis, sagte
der Vorläufer zum Volk: „Seht das Lamm Gottes“ (Joh 1,36).
Andreas folgte Ihm sogleich nach. Da wandte Sich der Herr um, und als
Er ihn zusammen mit dem anderen Jünger des Johannes sah, fragte Er sie:
„Was sucht ihr?“ Sie antworteten: „Meister, wo wohnst Du?“ Er sagte zu ihnen: „Kommt und seht.“
Die Jünger sahen, wo Er wohnte, und sie verbrachten den Tag bei Ihm
(Joh 1,37-39). Kurz danach rief der Herr den Andreas und seinen Bruder
Petrus, Ihm zu folgen, und Er sagte ihnen, dass sie Menschenfischer
werden würden zur Rettung vieler. Von jener Zeit an blieben sie bei
Christus. Sie waren Ihm treu bis ans Ende und gaben ihr Leben hin aus
Liebe zu Ihm.
Liebe
Brüder und Schwestern, an diesem Tag möchte ich euch dieselbe Frage
stellen: „Was sucht ihr?“ Warum seid ihr in die Kirche gekommen heute?
Was suchen wir alle in unserem Leben? Suchen wir Christus, so wie Er
einst gesucht wurde von den einfachen Fischern, zu denen der Apostel
Andreas gehörte?
Was
suchen die Menschen im Leben? Gesundheit, Reichtum, Erfolg,
Bekanntschaften, Freunde, Prestige, weltliche Genüsse aller Art, eitles
Wissen.... Nur wenige suchen Christus den Erlöser. Einige mögen es
sogar seltsam finden, Christus zu suchen. Sie sagen: „Wir nennen uns
Christen nach dem Namen Christi, wir sehen Seine heilige Ikone bei uns
zuhause und in der Kirche, wir rufen Seinen geliebten Namen an und hören
ihn in Gottes Tempel.“ Und so scheint es, dass für uns keine
Notwendigkeit besteht, Christus zu suchen. Die Menschen suchen, was sie
nicht haben, was ihnen fehlt. Wir aber scheinen Christus zu haben.
Es
stimmt - wir haben Ikonen Christi, doch wir haben nicht Christus
Selbst. Wir haben Seinen Namen, doch nur auf unseren Lippen, nicht in
unseren Herzen. Wir kennen Ihn, doch nur in Worten, nicht in Taten.
Hierin liegt, meine Lieben, ein großer Unterschied. Derselbe Unterschied
wie jener zwischen dem Schatten und dem Gegenstand, der den Schatten
wirft. Doch Christus kann man nur mit dem Herzen wahrhaftig kennen, in
unserem inneren Menschen, in unserer Seele. Denn Christus, als Gott, ist
Geist, „Der überall ist und alles erfüllt“.
„Das Reich Gottes ist in euch“
(Lk 17,21), sagt der Herr. Der heilige Apostel Paulus wünschte sich
sehnlichst, dass Christus in den Herzen der Christen wohnen möchte. Er
schrieb:
„Möge
Gott gemäß dem Reichtum Seiner Herrlichkeit euch gewähren, dass ihr
mit Macht gestärkt werdet von Seinem Geist im inneren Menschen, dass
Christus in euren Herzen wohne kraft des Glaubens“ (Eph 3,16-17).
Wir
müssen zugeben, dass die meisten von uns Christus nicht in unseren
Herzen haben. Unsere Herzen sind vielmehr besetzt von dem, was in
Gegensatz steht zu Christus, unserem Gott und Erlöser, von dem, was in
Gegensatz steht zu unserem eigenen Wohl und die Rettung unserer Seelen
behindert. Und aus diesem Grund führen wir nicht ein echtes christliches
Leben.
Was ist es, das unsere Herzen besetzt? Gott allein, Der die Herzen und die Nieren prüft
(Ps 7,10), sieht zur Gänze, was in unseren Herzen ist, ihre
Verstrickungen. Würde der Herr uns gewähren, den ganzen Abgrund unserer
Herzen zu sehen, würden wir uns mit Abscheu abwenden von jener enormen
Anhäufung von Schmutz. Möge jeder von uns in sein Herz blicken und vor
seinem Gewissen als Zeugen bekennen, was es ist, das unsere Herzen mehr
als alles andere erfüllt. Leidenschaften, Sünden, freiwillige und
unfreiwillige - sind nicht sie die ständigen Bewohner unseres Herzens?
Wo
aber wohnt Christus? In reinen Herzen. In Herzen, die demütig sind und
zerknirscht, wo Er nicht betrübt wird durch Zweifel und Unglauben,
durch Gleichgültigkeit Ihm gegenüber, unserem Gott und Erlöser. Wo nicht
der vergänglichen Süße der Sünde der Vorzug gegeben wird. Wo die
Götzen der Leidenschaften hinausgetrieben worden sind. Wo nicht dem
Gottesreich die rohe Materialität vorangestellt wird. In Christen, die
ihre Gedanken immer wieder zum Himmlischen wenden, wie es solchen
geziemt, die für den Himmel erschaffen wurden, für die Ewigkeit. In
denen, die Gottes Wahrheit suchen, die jeden Tag und zu jeder Stunde
achten auf Seine Gebote. Hier ist es, wo Christus wohnt. Und was tut Er
dort? Ach, wenn wir nur wüßten (und einige wissen es
selbstverständlich), was Er in jenen Seelen tut, die Seiner ständigen
Gegenwart würdig sind – welche Erquickung, welches Glück, welche Freunde
Er ihnen verschafft, welch paradiesische Seligkeit Er ihnen zu kosten
gibt, während sie noch auf Erden sind!...
Nachdem
der heilige Apostel Andreas Christus angenommen hatte, übergab er sich
zur Gänze an Ihn, und was immer ihm widerfuhr an Schwierigkeiten,
Leiden, Nöten und Verfolgungen – unvermeidlich bei der Verkündigung des
Evangeliums –, er blieb Christus treu und ertrug alles aus Liebe zu
Ihm, sogar die Kreuzigung.
Es
ist von höchster Wichtigkeit, dass wir Christus suchen – und Ihn
finden. Ohne Christus, wer wird uns erlösen von unseren Sünden, die uns
täglich und stündlich umgarnen, und von den ewigen Qualen? Nur der Sohn
Gottes hat auf Erden die Macht, Sünden zu vergeben. Er allein hat die
Schlüssel zur Hölle und zum Tod, die Schlüssel zum Himmelreich und zum
Leben.
Christus
zu finden ist nicht schwer. Er ist überall und füllt die Welt mit Sich
Selbst. Durch den Propheten Jeremias sagt Gott zu uns: „Ein naher Gott
bin Ich..., nicht ein ferner Gott“ (Jer 23,23). Sobald Er
sieht, dass unsere Herzen geneigt sind, Seine Gnade zu empfangen, tritt
Er unverzüglich ein und bringt Frieden und Trost mit Sich. „Siehe,
Ich stehe vor der Tür“, sagt der Herr, „und klopfe an. Will einer Meine
Stimme hören und die Türe öffnen, werde Ich eintreten bei ihm und Mahl
halten mit ihm und er mit Mir“ (Offb 3,20). O wie oft spricht Er
mit Seinen treuen Dienern wie mit wahren Freunden! Christus Selbst
sucht dich – wenn du nur dein Herz hinneigst zu Ihm, wirst du Ihn
sicher finden.
Doch
wie werden wir erkennen, ob wir Christus gefunden haben und Ihm nahe
sind? Die Christus Nahen wenden sich oft zu Ihm hin im Gebet mit
Glauben und mit Liebe. Oft wiederholen sie aus ganzem Herzen Seinen
allgeliebten Namen, oft rufen sie Ihn um Hilfe an. Oft lesen sie Sein
Wort oder lauschen ihm mit kindlicher Einfachheit und Liebe. Sie suchen
häufige Vereinigung mit Ihm in Seinen lebenspendenden Mysterien. Sie
sind zufrieden mit dem, was sie haben, und nehmen hin, was immer ihnen
geschieht. Sie mühen sich ihren Kräften gemäß um die Erfüllung von
Christi Geboten....Es kommt vor, dass sie auch Prüfungen zu durchstehen
haben, die der liebende Meister zuläßt, damit ihre Herzen geläutert
werden möchten von jeder sündigen Unreinheit. Jene, die bei Christus
sein wollen, dürfen nicht weglaufen vor Prüfungen, sondern selbst in
Zeiten der Freude nicht abstehen vom Tragen ihres Kreuzes.
Meine
lieben Brüder und Schwestern! Sucht Christus mit Glauben und mit
Liebe. Vergeßt nicht, dass Er Sein Leben hingegeben hat am Kreuz um
unsertwillen, um uns zu befreien von Sünde und ewiger Qual und um in
unseren Herzen zu wohnen, damit wir große Freude haben möchten. Vergeßt
nicht – alle sind wir zum Preis Seines Blutes losgekauft worden, und es
ziemt sich, dass wir Ihm angehören als unserem Erlöser.
Unsere
Tage sind gezählt. Jeder Stundenschlag der Uhr erinnert uns daran, Ihn
zu suchen, Der die Zeit erschaffen hat und Der Selbst über dem Maß der
Zeit steht. Er allein ist imstand, uns herauszufischen aus dem alles
verschlingenden Strom der Zeit... Jeder Stundenschlag sagt uns: Hab
acht! Jetzt hast du eine Stunde weniger bis zum Überschreiten der
Schwelle zum Leben nach dem Tod, das weder Tage noch Stunden kennt. Laß
dich nicht verführen von der momentanen Süße der Sünde, die zerfließt
wie ein Traum und die Seele leer zurückläßt, krank und bange. Sie
stiehlt kostbare Zeit und verdirbt sie auf immer. Verlier keine Zeit
mit nutzlosen Beschäftigungen oder Müßiggang. Jeder von euch hat ein
von Gott gegebenes Talent, das er zu nutzen gerufen ist. Beschäftigt
euch mit dem Erwerb unvergänglichen Reichtums im Reich der Himmel. Nehmt
euch ein Beispiel an den Tausenden, die euch vorausgegangen sind und
ewige Ruhe und Freude erlangt haben durch ihr unablässiges Bemühen in
diesem vergänglichen Dasein, durch Schweiß und Tränen. Beeilt euch, die
Sünde in allen ihren Kundgebungen zu entwurzeln aus eurem Innern, mit
der Hilfe Christi des Erlösers. Erinnert euch – der Mensch erntet, was
er sät (Gal 6,7), gemäß dem unwandelbaren Gesetz von Gottes
Gerechtigkeit.
Deshalb,
solange noch Zeit ist, laßt uns eilen, um Christus zu finden und kraft
des Glaubens eine Wohnstatt schaffen für Ihn in unseren Herzen, damit
wir nicht dem Feuer der Gehenna zum Opfer fallen, wie geschrieben
steht: „Bleibt einer nicht in Mir, wird er hinausgeworfen wie die
Rebe, und sie verdorrt, und man sammelt sie ein und wirft sie ins Feuer
und sie verbrennen“ (Joh 15,6). Amen.
Quelle: www.prodromos-verlag.de
[1] Der folgende Text ist eine Homilie des hl. Johannes v. Kronstadt (1829-1908, s. Das Synaxarion am 20. Dezember) zum Fest des Hl. Apostels Andreas des Erstberufenen. Ins Deutsche übersetzt vom Kloster des Hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2011, aus der englischen Fassung von „Orthodox America“, die ausgeht vom russischen Originaltext in Dushepolezny Sobesednik, Hl. Berg Athos November 1899.
Quelle: www.prodromos-verlag.de
[1] Der folgende Text ist eine Homilie des hl. Johannes v. Kronstadt (1829-1908, s. Das Synaxarion am 20. Dezember) zum Fest des Hl. Apostels Andreas des Erstberufenen. Ins Deutsche übersetzt vom Kloster des Hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2011, aus der englischen Fassung von „Orthodox America“, die ausgeht vom russischen Originaltext in Dushepolezny Sobesednik, Hl. Berg Athos November 1899.
http://www.impantokratoros.gr/was-sucht-ihr.de.aspx
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