Hl. Gregor Palamas
Über das Kostbare und Lebenspendende Kreuz [1]
Homilie zum 3. Sonntag der Großen Fastenzeit
1. Das
Kreuz Christi wurde auf verborgene Weise seit ältester Zeit
vorangekündigt und in Figuren angedeutet, und keiner wurde je mit Gott
versöhnt ohne die Kraft des Kreuzes. Nachdem unsere Ureltern im Paradies
Gottes durch das Essen vom Baum das Gebot übertreten hatten, lebte die
Sünde auf, wir aber starben und erlitten vor dem leiblichen Tod den Tod
der Seele, der Trennung ist von Gott. All unser Leben nach der
Übertretung war ein Leben in Sünde, ein Leben dem Fleische nach. Die
Sünde "ordnet sich dem Gesetz Gottes nicht unter, noch auch ist sie
imstand dazu, und die dem Fleisch gemäß Lebenden können Gott nicht
gefallen" (Röm 8,7).
2. Wie der Apostel sagt, "das Wollen des Fleisches ist gegen den Geist gerichtet und das Wollen des Geistes gegen das Fleisch" (Gal
5,17). Gott aber ist Geist, das Gute und die Tugend Selbst, und unser
Geist ist Seinem Bild und Seiner Ähnlichkeit gemäß, jedoch verdorben
durch die Sünde. Wie könnte irgendeiner von uns allen erneuert und mit
Gott versöhnt werden ohne Beseitigung der Sünde und der fleischlichen
Lebensart? Dies mithin ist das Kreuz Christi - die Beseitigung der
Sünde.
Deshalb
gab einer unserer gotttragenden Väter, als er von einem Ungläubigen
gefragt wurde, ob er an den Gekreuzigten glaube, zur Antwort: "Ja, an
Den, Der die Sünde gekreuzigt hat." Gott Selbst bezeugt, dass viele
Seine Freunde waren, sowohl vor dem Gesetz als auch nach der Einführung
des Gesetzes, als das Kreuz noch nicht offen erschienen war. Auch David
der König und Prophet bestätigt, dass es zu seiner Zeit Freunde Gottes
gab, sagt er doch: "Deine Freunde, o Gott, hielt ich in großer Ehre" (Ps
138,17). Wie es kommt, dass es vor dem Kreuz schon Gottesfreunde gab,
will ich euch nun zeigen, wenn ihr mir gottesfürchtig und aufmerksam
euer Ohr zu leihen geruht.
3. Obwohl
der Mann der Sünde, der Sohn der Gesetzwidrigkeit (s. 2 Thess 2,3), der
Antichrist, meine ich, noch nicht erschienen ist, sagt der von Christus
geliebte Theologe: " Geliebte, schon ist der Antichrist da" (s.
1 Joh 2,18). So auch war das Kreuz schon gegenwärtig in den
Genera-tionen, die seinem Erscheinen vorausgingen. Der große Paulus
lehrt uns deutlich, dass der Antichrist schon jetzt unter uns ist, noch
bevor er erschienen ist, sagt er doch, dass "sein Geheimnis wirkt in uns" (s.
2 Thess 2,7). Desgleichen war auch das Kreuz Christi, obwohl es noch
nicht zum Vorschein gekommen war, in unseren Vorvätern gegenwärtig. Denn
sein Geheimnis wirkte in ihnen.
Das Mysterium des Kreuzesim Leben von Abraham und Moses
4. Um
nicht zurückzugehen bis Abel, Seth, Enos, Enoch, Noah und den anderen
bis Noah, die Gott wohlgefielen, sowie denen, die ihnen nahe waren, will
ich mit Abraham anfangen, der zum Vater vieler Völker wurde, der Juden
dem Fleische nach, von uns selbst aber dem Glauben nach. Um mithin mit
diesem unserem Vater dem Geiste nach anzufangen, mit seinem guten Anfang
und seiner ersten Berufung durch Gott – welches war das erste Wort, das
an ihn erging von Gott? "Zieh weg aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und komm in ein Land, das Ich dir zeigen werde" (Gen
12,1). Dieses Wort trägt in sich das Mysterium des Kreuzes. Es ist eben
das, was Paulus meint, wenn er sich des Kreuzes rühmt und sagt: "Gekreuzigt ist mir die Welt" (Gal
6,14). Für denjenigen, der seine Heimat und die Welt endgültig
verlassen hat, sind irdische Heimat und Welt erstorben. Dies ist das
Kreuz.
5. Als Abraham noch nicht weggegangen war aus der Gesellschaft der Gottlosen, sagte Gott zu ihm: "Zieh weg aus deinem Land und komm in ein Land", nicht "das Ich dir geben werde", sondern "das Ich dir zeigen werde" (Gen 12,1), denn
durch dieses Land wird ihm gleichsam ein anderes, geistiges Land
gezeigt. Zu Moses aber, was sagt nach dessen Weggang aus Ägypten und
Aufstieg zum Berg die Stimme Gottes als erstes? "Löse die Schuhe von deinen Füssen" (Ex 3,5). Dies ist ein weiteres Mysterium des Kreuzes, das dem vorhergehenden auf natürliche Weise folgt.
"Du
bist zwar weggezogen aus Ägypten,", sagt Gott zu Moses, "du hast den
Dienst des Pharao verlassen, den Titel 'Sohn der Tochter des Pharao'
verachtet, und soweit es von dir abhing, ist jene Welt des bösen
Dienstes aufgelöst und abgetan. Doch du mußt noch etwas mehr tun." Was?
Die Schuhe von deinen Füssen lösen, jene ledernen Gewänder ablegen, in
die dich die Sünde gekleidet hat (s. Gen 3,21), durch die sie wirkt und
die dich trennen vom Heiligen Land. Löse mithin dieses Schuhwerk von
deinen Füssen, das heißt lebe nicht länger nach der Art des Fleisches
und in Sünde, sondern leg ab und ertöte jene Lebensweise, die sich Gott
widersetzt. Nicht länger herrsche in dir die fleischliche Gesinnung und
das in den Gliedern wirkende Gesetz der Sünde, das dem Gesetz des
Geistes widerstreitet (s. Röm 7,23ff) und denselben fesselt mit den
Fesseln der Sünde, sondern besiegt sei all das und abgetötet durch die
Kraft der Gottesschau.
Ist nicht das alles das Kreuz? Um es mit dem göttlichen Paulus zu sagen, das Kreuz ist, das Fleisch zu kreuzigen "mitsamt den Leidenschaften und den Begierden" (Gal 5,24).
6. "Löse mithin", sagt Er, "die Schuhe von deinen Füssen, denn der Grund, auf dem du stehst, ist heiliges Land" (Ex
3,5). Dieses Wort weist deutlich hin auf die Heiligung des Landes, die
nach dem Erscheinen unseres Herrn und Gottes und Erlösers Jesus Christus
durch das Kreuz gewirkt werden sollte. Damals nämlich schaute Moses in
jenem erhabenen Anblick des mitten im Feuer nicht verbrennenden
Dornbusches im voraus das künftige Erscheinen Christi.
Zwei Mysterien des Kreuzes
Das
Schauen des Kreuzes in Gott ist ein Mysterium, welches das
vorhergehende noch übertrifft. Denn es sind deren zwei, wie der große
Paulus und unsere göttlichen Väter andeuten. Der erstere, indem er nicht
nur sagt: "Die Welt ist mir gekreuzigt", sondern überdies hinzufügt: "und ich der Welt" (Gal 6,14), die letzteren, indem sie uns gebieten, nicht voreilig auf das Kreuz zu steigen vor dem Kreuz,[2] womit sie zeigen, dass es zweierlei Reden vom Kreuz und zwei Mysterien des Kreuzes gibt.
7. Das
erste Mysterium des Kreuzes ist unser Auszug aus der Welt, die Lösung
von den leiblichen Verwandten, sofern diese ein Hindernis bilden für die
Gottesfurcht und das derselben gemäße Leben, sowie die körperliche
Arbeit, die nach Paulus' Worten ebenfalls von einigem Nutzen ist (s. 1
Tim 4,8). Indem wir jenen Dingen entfliehen, ist uns mithin die Welt
gekreuzigt und mit ihr die Sünde.
Das
zweite Mysterium des Kreuzes besteht darin, dass wir selbst uns der
Welt und den Leidenschaften kreuzigen, sodass diese aus uns weichen. Es
ist jedoch unmöglich, dass sie vollends aus uns weichen, sodass sie
nicht einmal mehr in unseren Gedanken wirken, wenn wir nicht zur
Gottesschau gelangen. Erst dann nämlich, wenn wir durch die Praxis [3]
voranschreiten zur Gottesschau und unseren inneren Menschen kultivieren
und läutern auf der Suche nach dem in uns selbst verborgenen
göttlichen Schatz, und schließlich das Gottesreich schauen, das in uns
ist, erst dann sind wir der Welt und den Leidenschaften gekreuzigt. Denn
durch dieses Schauen entsteht im Herzen eine Wärme, welche die bösen
Gedanken vertreibt wie Fliegen und geistigen Frieden und Trost in die
Seele bringt und dem Leib zur Heiligung verhilft, wie der Psalmist sagt:
"Mein Herz erwärmte sich in mir, und in meiner Betrachtung entbrannte ein Feuer" (Ps 38,4).
Dies
ist auch, was uns einer unserer gotttragenden Väter lehrt: "Kämpfe, so
sehr du vermagst,, damit dein inneres Werk Gott gemäß sei, und so wirst
du auch die äußeren Leidenschaften besiegen." [4] Zum selben ermuntert uns der große Paulus: "Wandelt im Geiste", sagt er, "und ihr werdet die Begierde des Fleisches nicht erfüllen" (Gal 5,16). Deshalb auch gebietet er uns anderswo: "Steht aufrecht, die Lenden gegürtet mit Wahrheit" (Eph
6,14), als solche, die durch den schauenden Geist den begehrenden Teil
der Seele [zum Guten] stärken und zügeln und so die fleischlichen
Gelüste vertreiben. Der große Petrus seinerseits zeigt uns mit aller
Deutlichkeit, was jene "Lenden" sind und jene "Wahrheit": "Indem ihr die Lenden eures Denkens gürtet", sagt er nämlich, "und
zur Gänze in Nüchternheit wandelt, könnt ihr hoffen auf die Gnade, die
euch zuteil werden wird bei der Offenbarung Jesu Christi" (1 Petr 1,13).
8. Weil
es mithin nicht möglich ist, dass die bösen Leidenschaften und die Welt
der Sünde vollends aus uns weichen, sodass sie nicht einmal mehr in
unseren Gedanken wirken, solange wir nicht zur Gottesschau gelangt sind,
ist auch die Gottesschau selbst ein Mysterium des Kreuzes, denn sie
kreuzigt der Welt diejenigen, die ihrer würdig sind. So war auch jenes
Schauen des brennenden und doch nicht verbrennenden Dornbusches, das
Moses zuteil wurde, ein Mysterium des Kreuzes, und zwar eines, das
erhabener und vollkommener war als jenes, das Abraham offenbart wurde.
Wurde
Moses also in das vollkommenere Mysterium des Kreuzes eingeweiht,
Abraham jedoch nicht? Wo hätte es dafür einen Grund gegeben? Zum
Zeitpunkt seiner Berufung zwar wurde Abraham nicht eingeweiht, später
aber, nach der Berufung, wurde er nicht nur einmal, sondern zweimal und
oftmals eingeweiht, doch fehlt uns jetzt die Zeit, auf alle Einzelheiten
einzugehen.
Abrahams Vision der Hl. Dreiheit
9. Hier
will ich euch nur an die höchst wunderbare Vision erinnern, als Abraham
gewährt wurde, den Einen Gott mit aller Deutlichkeit in Drei Hypostasen
zu schauen, obwohl Er damals noch nicht als Solcher verkündet worden
war. "Gott zeigte Sich ihm bei der Eiche von Mambre. Als er seine
Augen erhob, sah er, und siehe, Drei Männer standen vor ihm, und er
eilte zu ihnen hin" (Gen 18,1ff). Siehe, den Einen Gott schaute er als Drei. Denn "Gott zeigte Sich ihm", wie geschrieben steht. "Und siehe, Drei Männer", und nachdem er zu den Dreien hingeeilt ist, spricht er zu Ihnen wie zu einem Einzigen: "Herr, wenn ich Gnade gefunden habe vor Dir, geh nicht vorüber an Deinem Knecht" (Gen 18,3). Und die Drei Ihrerseits sprechen zu ihm wie ein Einziger. "Und
Er sagte zu Abraham: 'Wo ist Sarra, deine Frau? Wenn Ich übers Jahr zur
selben Stunde wiederkehre, werde Ich zu dir kommen, und Sarra, deine
Frau, wird einen Sohn haben.' " (Gen 18,9-10). Als aber die Greisin Sarra dies hörte, lachte sie. "Und der Herr sagte: 'Warum hat Sarra, deine Frau, gelacht?' "(Gen 18,13). Siehe, der Eine Gott ist in Drei Hypostasen, und jene Drei sind ein Einziger Herr. Heißt es doch: "Der Herr sagte".
10. In Abraham wirkte das Mysterium des Kreuzes mithin auf diese Art. Was aber Isaak angeht, so war er selbst eine Figur[5]
Dessen, Der ans Kreuz genagelt werden sollte, wie Christus gehorsam
bis in den Tod gegenüber dem Vater. Und jener Widder, der an seiner
Stelle gegeben wurde (Gen 22,13), war eine Figur des Lammes Gottes, Das
um unsertwillen zur Opferung dargebracht ward. Selbst der Strauch, an
den der Widder gefesselt war, barg in sich das Myste-rium des Kreuzes in
einer Figur, weshalb er Sabek-Strauch genannt wurde (Gen 22,13),[6] das heißt "Strauch der Vergebung", so wie man das Kreuz "Holz der Erlösung" nennt.
Das Mysterium des Kreuzes bei Jakob und Isaak
Das
Mysterium und die Figur des Kreuzes finden sich auch bei Jakob, dem
Sohn Isaaks. Denn durch Holz und Wasser vermehrten sich seine Herden
(Gen 30,37ff). Das Holz deutete hin auf das Holz des Kreuzes, das Wasser
auf die göttliche Taufe, das in sich das Mysterium des Kreuzes birgt. "Denn im Tod Christi wurden wir getauft" ,
sagt der Apostel (Röm 6,3). Auch Christus vermehrt Seine
vernunftbegabten Herden auf Erden mit Hilfe von Holz und Wasser, des
Kreuzes und der Taufe.
11. Als
Jakob in hohem Alter sich über das Ende seines Stabes beugte (Gen
47,31) und seine beiden Enkel segnete, legte er ihnen seine Hände
kreuzweise auf (Gen 48,14), womit er mit aller Deutlichkeit die Figur
des Kreuzes sichtbar machte. Doch auch sein ganzes Leben lang war das
Mysterium des Kreuzes wirksam gewesen in ihm, denn er war gehorsam gegen
seine Väter von Anfang an bis ans Ende, wofür er geliebt und gesegnet
wurde von ihnen, jedoch gehaßt von Esau, und er ertrug jede Prüfung mit
Tapferkeit. Deshalb auch sagte Gott: "Jakob habe Ich geliebt, Esau aber gehaßt" (Mal 1,2-3 / Röm 9,13).
Etwas
Ähnliches geschieht auch mit uns, meine Brüder. Denn derjenige, der
sich seinen Vä-tern dem Leibe und dem Geiste nach willig unterordnet,
dem Gebot des Apostels gemäß, der sagt: "Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern" (Eph
6,1), ein solcher wird von Gott geliebt, als einer, der hierin Seinem
geliebten Sohn ähnlich ist. Doch der Ungehorsame ist Gott verhaßt als
einer, der fern ist von der Ähnlichkeit mit Seinem geliebten Sohn. Dies
zeigt auch der weise Salomo, sagt er doch, dass solches nicht nur mit
Jakob und Esau geschah, sondern immerdar mit allen geschieht: "Der gehorsame Sohn", schreibt er, "wird leben, der Ungehorsame aber verdirbt" (Spr 13,1).
Das höhere Mysterium des Kreuzes - die Gottesschau
12. Doch
erlangte der Sohn des Gehorsams, Jakob, etwa nicht auch das höhere
Mysterium des Kreuzes, jenes der Gottesschau, meine ich, durch das der
Mensch auf vollkomme-nere Weise gekreuzigt wird, der Sünde stirbt und
der Tugend lebt? Er selbst legt Zeugnis ab von seiner Gottesschau und
Erlösung, sagt er doch: "Ich schaute Gott von Angesicht zu Angesicht,
und meine Seele ward erlöst" (Gen 32,30).
Wo sind jene, die noch immer dem widerlichen Geschwätz der Häretiker anhangen, die in unseren Tagen aufgetreten sind?[7]
Möchten sie vernehmen, dass Jakob Gott von Angesicht sah und nicht nur
keineswegs sein Leben verlor, sondern wie er selbst sagt, erlöst wurde,
obwohl Gott sagt: "Keiner wird Mein Angesicht schauen und leben" (Ex
33,20). Gibt es vielleicht zwei Götter, von denen der eine ein Angesicht
hat, das von den Heiligen geschaut werden kann, der andere aber eins,
das jenseits ist von allem Schauen? Weg mit solcher Blasphemie! Das
Angesicht Gottes, das geschaut wird, ist Gottes Energie und Gnade zur
Stunde Seiner Offenbarung an jene, die würdig sind. Sein Angesicht aber,
das niemals geschaut wird, ist das, was man zuweilen Gottes Wesen nennt
und jenseits allen Erscheinens und Schauens ist. Denn keiner hat je in
der Hypostase und im Wesen des Herrn gestanden, wie die Schrift sagt (s.
Jer 23,18), und Gottes Wesen weder je geschaut noch je zu beschreiben
vermocht.
So
vertreiben denn die Gottesschau und das göttliche Mysterium des Kreuzes
nicht nur die bösen Leidenschaften und die dieselben erzeugenden
Dämonen aus der Seele, sondern auch die häretischen Meinungen. Sie
beschämen deren Verteidiger und verstoßen sie aus dem Garten der
heiligen Kirche Christi, innerhalb welchem uns jetzt gewährt worden ist,
das Wirken der göttlichen Gnade und Energie des Kreuzes in den Vätern
der Zeit vor dem Kreuz zu feiern und zu verkünden.
13. So
wie mithin das Mysterium des Kreuzes in Abraham wirkte und Isaak eine
Figur des in der nachfolgenden Zeit Gekreuzigten war, so auch wirkte das
Mysterium des Kreuzes im ganzen Leben Jakobs und so auch war Joseph,
der Sohn Jakobs, Figur und Mysterium des Gottmenschen und Logos Gottes,
der nach diesen Zeiten gekreuzigt werden sollte. Denn auch er wurde aus
Neid zur Abschlachtung preisgegeben von seinen eigenen Brüdern, um
derentwillen er von seinem Vater ausgesandt worden war, geradeso wie
Christus nach ihm. Und wenn Joseph letztlich nicht getötet, sondern
verkauft wurde, so ist daran nichts Sonderbares, denn auch Isaak wurde
nicht hingeopfert, waren sie doch nicht die Wahrheit Selbst, sondern
eine Figur der Wahrheit, Die kommen sollte.
Wir
können jedoch, wenn es sein muß, hierin auch eine Figur des zweifachen
Mysteriums der zweifachen Natur Jesu sehen, denn ihre Hinführung zur
Opferung deutete hin auf die Passion des Gottmenschen, das Nichterleiden
des Todes aber auf die Leidensunfähigkeit der Gottheit. Dasselbe
könntest du auch bei Jakob und Abraham feststellen, denn beide wurden
versucht und siegten, was aufs Deutlichste auch über Christus
geschrieben steht.
Von
jenen vier Männern mithin, die sich vor der Einführung des Gesetzes
auszeichneten durch ihre Tugend und Gottesfurcht, hatten zwei, nämlich
Abraham und Jakob, das Mysterium des Kreuzes als wirkende Kraft in ihrem
ganzen Leben, während die beiden anderen, Isaak und Joseph, das
Mysterium des Kreuzes durch wunderbare Geschehnisse im voraus
verkündeten.
Das Kreuz im Leben Mose, der Richter und der Propheten
14. Und
was geschah mit Moses, der als erster von Gott das Gesetz empfing und
es den anderen übermittelte? Wurde nicht er selbst noch vor dem Gesetz
durch Holz und Wasser gerettet, indem man ihn in einem Holzkörbchen den
Fluten des Nils aussetzte (s. Ex 2,3ff)? Und rettete er nicht das
israelitische Volk durch Holz und Wasser [8]
(s. Ex 14,15ff), wobei er mit dem Holz im voraus das Kreuz andeutete
und mit dem Wasser die göttliche Taufe? Sagt doch auch Paulus, der Seher
der Mysterien, mit aller Deutlichkeit: "Alle wurden sie in Moses
getauft in der Wolke" (s. 1 Kor 10,2). Er bezeugt auch, dass Moses schon
vor den Ereignissen mit dem Meer und dem Stab freiwillig das Kreuz
Christi ertrug, sagt er doch: "Er erachtete die Schmach Christi höher
als die Schätze Ägyptens" (Hebr 11,26). Die Schmach aber, die Christus
seitens der Toren erlitt, war das Kreuz, wie derselbe Paulus etwas
weiter unten sagt: "Christus erduldete das Kreuz, ohne der Schmach zu
achten" (Hebr 12,2).
Des
weiteren zeigte Moses im voraus mit aller Deutlichkeit auch die Figur
und das Zeichen selbst des Kreuzes sowie die Rettung durch diese Figur.
Denn nachdem er seinen Stab aufgepflanzt hatte, streckte er seine Arme
aus über demselben und formte damit sich selbst zum Kreuz, und durch
diesen Anblick schlug er Amalek sogleich in die Flucht (s. Ex 17,8ff).
Doch auch indem er die kupferne Schlange der Breite nach auf einer
Stange anbrachte, richtete er mit Zuversicht die Figur des Kreuzes auf
und gebot den von Schlangen gebissenen Juden, zu diesem hinzublicken als
einem Mittel der Rettung, und so wurden sie geheilt von den
Schlangenbissen (s. Num 21,4ff).
15. Es
fehlt mir die Zeit (s. Hebr 11,32ff), um im Einzelnen auch über Josua
sowie die anderen Richter und Propheten zu reden, über David und jene
nach ihm, die alle, bewegt durch das Mysterium des Kreuzes, Ströme zum
Stillstand brachten (s. 2 Kön 19,24) die Sonne aufhielten in ihrer Bahn
(s. Jos 10,13), Städte von Gottlosen dem Erdboden gleichmachten, sich
als mächtig erwiesen im Kampf, Heere von Fremdstämmigen vernichteten,
der Schneide des Schwertes entrieten, die Macht des Feuers löschten, die
Rachen von Löwen verschlossen, Könige beschäm-ten, Anführer von
Fünfzigerschaften [durch Feuer vom Himmel] zu Asche verbrannten (s. 4
Kön 1,13), Tote auferweckten, den Himmel verschlossen und wieder
öffneten, indem sie die Wolken in ihm unfruchtbar und dann wieder
fruchtbar machten (s. 3 Kön 17,1ff). Wenn Paulus sagt, dass alle diese
Dinge durch den Glauben gewirkt wurden (Hebr 11,27ff), so deshalb, weil
der Glaube Kraft zur Erlösung ist und alles möglich macht für den, der
glaubt. Dasselbe wirkt aber ohne Zweifel auch das Kreuz Christi, sagt
doch derselbe Paulus: "Das Wort vom Kreuz ist Torheit für
jene, die verlorengehen, doch für uns, die wir gerettet werden, ist es Kraft Gottes" (1 Kor 1,18).
Das Kreuz des Erlösers und unser Kreuz –die Nachfolge Christi und worin sie besteht
16. Doch
lassen wir nun all jene, die vor dem Gesetz und unter dem Gesetz
lebten, hinter uns und kommen wir zum Herrn Selbst, "Dessentwegen und
durch Den alles ist" (Hebr 2,10). Sagte Er nicht schon vor dem Kreuz:
"Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und Mir nachfolgt, ist Meiner nicht
wert" (Mt 10,38)? Seht ihr, dass schon bevor das Kreuz aufgestellt
wurde, das Kreuz das war, was rettet? Und als der Herr den Jüngern offen
Seine Passion und Seinen Tod am Kreuz voraussagte und Petrus, der es
nicht ertrug, solches zu hören, im Wissen um Seine Macht zu Ihm sagte:
"Bewahre, Herr, solches soll Dir nicht geschehen" (Mt 16,22), da
tadelte Er ihn als einen, der in dieser Sache nicht göttlich, sondern
menschlich denkt. Hierauf rief Er die Menge und Seine Jünger zu Sich und
sagte zu ihnen: "Wer Mir nachfolgen will, verleugne sich selbst und
nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach. Denn wer seine Seele
retten will, wird sie verlieren, doch wer seine Seele verliert um
Meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird sie retten" (Mk
8,34-35).
17. Er
ruft also zusammen mit den Jüngern auch die Menge und verkündet und
gebietet dann jene hohe und die Natur übersteigende Gesinnung, die in
Wahrheit nicht von Menschen stammt, sondern von Gott. Damit zeigt Er,
dass diese nicht nur von Seinen auserwählten Jüngern gefordert ist,
sondern von jedem der an Ihn Glaubenden.
Christus
nachfolgen bedeutet, Seinem Evangelium gemäß zu leben und sich als
bewährt zu erweisen in jeder Tugend und Gottesfurcht. Und das Verleugnen
seiner selbst, für denjenigen, der Ihm nachfolgen will, sowie das
Aufsichnehmen des eigenen Kreuzes bedeutet, dass er sich selbst nicht
schont, wenn die Zeit es verlangt, sondern bereit ist, um der Tugend und
der Wahrheit der göttlichen Dogmen willen eines ruhmlosen Todes zu
sterben.
Solches
Verleugnen seiner selbst und die Bereitschaft, sich der letzten
Entehrung und dem Tod preiszugeben, ist zwar erhaben und über der Natur,
doch es ist nicht etwas Ungewöhnliches. Denn selbst die Könige der Erde
nehmen in ihre Gefolgschaft niemals, und vor allem nicht in
Kriegszeiten, solche auf, die nicht bereit sind, für sie zu sterben.
Was also ist außergewöhnlich daran, dass auch der König der Himmel, da
Er gemäß Seiner Verheißung herabgekommen ist auf die Erde, um Krieg zu
führen gegen den gemeinsamen Feind des Menschengeschlechts, dasselbe
verlangt von denen, die Ihm nachfolgen?
Zudem
sind die Könige der Erde nicht imstand, jene wieder zum Leben zu
erwecken, die im Krieg gefallen sind, noch auch dazu, den Tapferen unter
ihnen eine entsprechende Belohnung zu verschaffen. Was könnte schon
einer, der nicht mehr lebt, von ihnen empfangen? Jene hingegen, deren
Tod um der heiligen Dinge willen erfolgte, haben ihre Hoffnung im Herrn.
So schenkt denn der Herr denjenigen, die tapfer kämpften in Seiner
Nachfolge, als Gegengabe das ewige Leben.
18. Die
Könige der Erde verlangen von ihren Gefolgsleuten, dass sie bereit
sind, für sie zu sterben, der Herr aber hat Sich Selbst dem Tod
hingegeben für uns. Und wenn Er uns gebietet, bereit zu sein zum Tod, so
tut Er das nicht um Seinetwillen, sondern um unser selbst willen. Und
um zu zeigen, dass der Tod um unser selbst willen ist, fügt Er hinzu:
"Denn wer seine Seele retten will, wird sie verlieren, doch wer sie
verliert um Meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird sie
retten" (Mk 8,35).
Was bedeutet das, "wer sie retten will, wird sie verlieren, und wer sie verliert, wird sie retten"?
Der
Mensch ist zweifältig – der äußere Mensch, das heißt der Leib, und der
innere Mensch, das heißt die Seele. Wenn mithin unser äußerer Mensch
sich selbst dem Tod preisgibt, verliert er seine Seele, die sich trennt
von ihm. Derjenige nun, der sie auf solche Weise verliert um Christi und
des Evangeliums willen, der rettet und gewinnt sie in Wirklichkeit,
denn damit verhilft er ihr zum himmlischen und ewigen Leben. Und bei der
Auferstehung wird er sie in diesem Zustand zurückerhalten, und durch
sie wird auch er selbst, in seinem Leibe, sage ich, himmlisch und ewig
werden wie sie.
Derjenige
hingegen, der an seinem Leben hängt und nicht bereit ist, auf solche
Weise zu sterben, weil er diese vergängliche Welt liebt und was zu ihr
gehört, der schadet seiner Seele und beraubt sie des wahren Lebens. Er
verliert sie und überliefert sie zusammen mit sich selbst - o Schreck! -
der ewigen Züchtigung. Deshalb sagt der Allerbarmende Herr, gleichsam
wie in Trauer hierüber und hinweisend auf die Größe des Unheils: "Was
nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und Schaden
nimmt an seiner Seele? Oder was könnte der Mensch geben als Gegenpreis
für seine Seele?" (Mk 8,36). Denn weder sein Ruhm noch irgendetwas
anderes von dem, was in dieser Welt als kostbar und begehrenswert gilt
und dem er den Vorzug gegeben hat vor dem heilsamen Tod, wird
hinabfahren mit ihm. Was in der Tat von alledem könnte als würdiger
Gegenpreis erfunden werden für die vernunftbegabte Seele, deren die Welt
in ihrer Gesamtheit nicht würdig ist?
19. Selbst
dann also, Brüder, wenn ein Mensch die ganze Welt zu gewinnen
vermöchte, hätte er davon keinerlei Nutzen, wenn er dabei seine Seele
verliert. Jeder aber vermag nur einen verschwindend kleinen Teil dieser
Welt zu gewinnen, und wie groß ist das Übel, wenn er im Bemühen um
diesen verschwindend kleinen Teil seine Seele verliert, weil er nicht
bereit ist, die Gestalt und das Wort des Kreuzes auf sich zu nehmen und
dem Spender des Lebens nachzufolgen! Denn Kreuz ist sowohl die verehrte
Gestalt als auch das Wort davon.
Das Fleisch kreuzigen samt den Leidenschaften und den Begierden
20. Da
das Wort und Mysterium des Kreuzes seiner sichtbaren Gestalt
vorausging, wollen wir eurer Liebe das erstere zuerst darlegen. Besser
gesagt, Paulus hat auch das schon vor uns dargelegt – Paulus, der sich
des Kreuzes rühmte, der sich vorgenommen hatte, "nichts zu wissen außer
dem Herrn Jesus, und Diesen als Gekreuzigten" (1 Kor 2,2). Was also sagt
er?
Kreuz
bedeutet, "das Fleisch zu kreuzigen samt den Leidenschaften und den
Begierden" (s. Gal 5,24). Glaubt ihr etwa, er meine damit nur die
Schwelgerei und die Leidenschaften des Unterbauchs? Wäre dem so, wie
könnte er dann den Korinthern schreiben: "Da es Streitereien gibt unter
euch, seid ihr immer noch Fleischliche und wandelt nach der Art der
Menschen?" (s. 1 Kor 3,3)? Folglich ist auch jener, der Ehren und Geld
liebt oder auch einfach seinen eigenen Willen durchsetzen will und
deshalb mit den anderen streitet, ein fleischlicher Mensch und wandelt
dem Fleisch gemäß. Aus eben diesem Grund gibt es Streitereien, wie auch
Jakobus der Herrenbruder schreibt: "Woher kommen die Kämpfe und
Auseinandersetzungen unter euch, wenn nicht daher, dass eure Gelüste in
euren Gliedern im Widerstreit liegen? Ihr bemüht euch und könnt nicht
erlangen, ihr streitet und führt Krieg" (s. Jak 4,1).
Das
Fleisch kreuzigen samt den Leidenschaften und den Begierden bedeutet
mithin, dass der Mensch untätig wird in allem, was Gott mißfällt. Selbst
dann, wenn der Leib niedergedrückt ist und bedrängt, muß jeder darum
ringen, ihn hinaufzuheben auf die Höhe des Kreuzes. Was will ich damit
sagen? Als der Herr auf Erden war, lebte Er ein Leben der
Besitzlosigkeit, und Er lebte es nicht nur, sondern Er verkündete es
auch, indem Er sagte: "Wenn einer sich nicht löst von all seinem Besitz,
kann er nicht Mein Jünger sein" (Lk 14,33).
Unverfälschte Verkündigung des Willens Gottes und wie man ihn erfüllt
21. Möge
keiner es unerträglich finden, Brüder, ich bitte euch, wenn er uns den
guten und wohlgefälligen und vollkommenen Willen Gottes unverfälscht
verkünden hört. Noch auch soll er ärgerlich werden, weil er das Gebotene
als undurchführbar erachtet, sondern er soll zuallererst begreifen,
dass das Reich der Himmel mit Gewalt errungen wird und dass die
Gewaltsamen es ergreifen (Mt 11,12). Er soll auch auf Petrus hören, den
ersten unter den Aposteln, da er sagt: "Christus hat gelitten um
unsertwillen und uns ein Vorbild hinterlassen, damit wir Seinen
Fußspuren folgen" (1 Petr 2,21).
Sodann
soll er gerechterweise Folgendes bedenken: Wenn ein jeder entdeckt,
wieviel er dem Gebieter in Wahrheit schuldet und dass er nicht hat, um
Ihm alles zurückzuzahlen, wird er in Bescheidenheit soviel darbringen,
wie er kann und wozu er sich frei entscheidet, und was den Rest
betrifft, so wird er sich demütigen vor Ihm, und indem er durch diese
seine Demut Sein Erbarmen auf sich zieht, wird er so das Fehlende
ergänzen. Sieht aber einer seinen Gedanken hungern nach Reichtum und
vielem Besitz, so wisse er, dass ihn dieser fleischliche Gedanke trennt
von Christus, Der gekreuzigt ist in ihm.
22. Wie
nun fängt er an, diesen Gedanken hinaufzuheben auf die Höhe des
Kreuzes? Seine Hoffnung auf Christus setzend, den Spender von allem und
Ernährer aller, halte er sich fern von jedem Gewinn, der aus
Ungerechtigkeit stammt, und was den Gewinn betrifft, den er aus
Gerechtigkeit erworben hat, so hänge er sich nicht zu sehr daran,
sondern verwende ihn auf gute Art , indem er soweit wie möglich die
Bedürftigen daran teilhaben läßt.
Dasselbe
gilt für das Gebot, den Körper zu verleugnen und sein Kreuz auf sich zu
nehmen. Jene, die zu Gott gehören und nach Seinem Willen leben, haben
einen Körper wie alle, doch sie hangen nicht übermäßig daran, sondern
gebrauchen ihn als Mitarbeiter für das Unerläßliche. Sollten sie dazu
gerufen sein, geben sie ihn bereitwillig preis.
Wenn
einer es so hält mit dem materiellen Besitz und den körperlichen
Bedürfnissen, sofern er nicht etwas Besseres zu tun vermag, so handelt
er recht und gottgefällig.
Die Kreuzigung des Gedankens der Unzucht
und der anderen Leidenschaften
und der anderen Leidenschaften
Hinwiederum,
sieht einer, dass der Gedanke der Unzucht mit Heftigkeit in ihm wirkt?
Dann wisse er, dass er sich selbst noch nicht gekreuzigt hat. Wie also
wird er sich kreuzigen? Er fliehe das neugierige Betrachten der Frauen,
die ungehörige Vertraulichkeit und das unziemliche Gespräch mit ihnen.
Ferner verringere er den Treibstoff, der diese Leidenschaft nährt, indem
er sich enthält von übermäßigem Trinken, Alkoholrausch, Eßlust und
zuviel Schlaf. Dieser Enthaltung von Übeln mische er die demütige
Gesinnung bei, indem er mit zerknirschtem Herzen den Beistand Gottes
anruft gegen diese Leidenschaft. Dann wird auch er sagen können: "Ich
sah den Gottlosen hoch aufragen und sich überheben wie die Zedern des
Libanon, doch ich ging an ihm vorüber kraft der Selbstbeherrschung und
siehe, er war nicht mehr da, und ich suchte ihn durch das demütige
Gebet, doch sein Ort ward nicht mehr gefunden in mir" (s. Ps 36,35-36).
23. Oder
bedrängt dich etwa der Gedanke der Ruhmsucht? Befindest du dich in
Versamm-lungen oder an Konferenzen, erinnere dich an den diesbezüglichen
Rat, den der Herr in den Evangelien gibt. Im Gespräch suche nicht den
anderen zu übertrumpfen, und so du Tugenden hast, übe sie im
Verborgenen, indem du zu Gott allein hinsiehst und von Gott allein
gesehen wirst, "und der Vater, Der im Verborgenen sieht, wird dir im
Offenen vergelten" (Mt 6,6).
Wenn du aber selbst dann, wenn du die Ursachen einer jeden der Leidenschaften beseitigt hast,
noch
belästigt wirst vom Gedanken an sie in deinem Inneren, so fürchte dich
nicht. Denn dieser verhilft dir zu Kränzen, vermag er doch bloß zu
belästigen, nicht aber zu überzeugen, noch auch zu wirken. Er ist eine
kraftlose Regung, besiegt von dir durch den Gott gemäßen Kampf.
Die Erhabenheit und Macht des Kreuzes
24. Solcherart
also ist das Wort vom Kreuz (1 Kor 1,18). Und da es solcherart ist,
nicht nur in den Propheten vor seiner Vollstreckung, sondern auch jetzt,
nach der Vollstreckung, ist es ein großes und wahrhaft göttliches
Mysterium. Wie das?
Oberflächlich
betrachtet, scheint es demjenigen, der sich selbst erniedrigt und
demütigt in allem, Unehre zu bringen sowie Schmerz und Mühsal
demjenigen, der die leiblichen Genüsse meidet, und wer seine Habe
verschenkt, scheint Armut über sich selbst zu bringen. Doch durch die
Macht Gottes verschaffen diese Armut, dieser Schmerz und diese Unehre
ewigen Ruhm, unaussprechliche Wonne und unerschöpflichen Reichtum,
sowohl in der gegenwärtigen Welt als auch in der künftigen.
Jene,
die nicht so glauben und ihren Glauben nicht durch Werke beweisen,
rechnet Paulus zu denen, die verlorengehen, ja, zu den Heiden, sagt er
doch: "Wir verkünden Christus als Gekreu-zigten, für die Juden ein
Ärgernis", weil sie nicht an die heilbringende Passion glauben, "und für
die Heiden eine Torheit", weil sie auf Grund ihres völligen Unglaubens
gegenüber den göttlichen Verheißungen nichts höher in Ehren halten als
das Vergängliche, "für uns aber, die Erwählten, ist Christus Gottes
Macht und Gottes Weisheit" (1 Kor 1,23).
Denn dies ist Gottes Weisheit und Macht: durch Schwäche zu siegen, durch Demut zu erhöhen, durch Armut reich zu machen.
25. Nicht
nur das Wort vom Kreuz und sein Mysterium, sondern auch seine Gestalt
ist göttlich und verehrungswürdig, denn sie ist ein heiliges und
ehrfurchtgebietendes Siegel, das rettet und heiligt und hinführt zu den
übernatürlichen und unaussprechlichen Gütern, die Gott dem
Menschengeschlecht bereitet hat. Es nimmt Fluch und Verurteilung
hinweg, befreit von Verderben und Tod, verhilft zum ewigen Leben und
Segen. Es ist Baum des Heils, königliches Zepter, ein göttliches
Siegeszeichen gegen sichtbare und unsichtbare Feinde, selbst wenn die
Söhne der Häretiker in ihrem Irrsinn Mißfallen finden daran. Denn sie
entbehren des apostolischen Segens, der sie instand setzen würde, mit
allen Heiligen zusammen zu begreifen, was die Breite und die Länge, die
Höhe und die Tiefe ist" (Eph 3,18).
Sie
begreifen nicht, dass das Kreuz des Herrn die gesamte Heilsökonomie
Seines Erscheinens im Fleische sichtbar macht und das ganze hierdurch
vollzogene Mysterium in sich birgt, dass es sich ausdehnt bis hin an
alle Enden und alles einschließt, was oben ist, was unten, was rundum,
was dazwischen. Indem sie einen Vorwand vorschieben, dessentwegen sie,
wären sie bei Verstand, das Kreuz mit uns zusammen verehren müßten,
wenden sie sich ab vom Symbol des Königs der Herrlichkeit, das der Herr
Selbst, als Er Sich anschickte, es zu besteigen, offen als Seine
Erhöhung und Verherrlichung bezeichnete (s. Joh 12,32 und 13,31-32).
Und in bezug auf Seine künftige Parusie und Epiphanie kündete Er an,
dass dieses Zeichen des Menschensohns mit großer Macht und Herrlichkeit
erscheinen werde (s. Mt 24,30).
26. Die
Häretiker jedoch sagen, weil Christus ans Kreuz genagelt worden sei,
ertrügen sie es nicht, die Form und das Holz anzuschauen, an dem Er
gestorben sei. Der Schuldschein aber, der wider uns ausgestellt worden
war wegen des ungehorsamen Essens vom Baum, nach welchem unser Urvater
die Hand ausgestreckt hatte, wo wurde er angenagelt und durch was wurde
er gelöscht und entfernt, sodass wir wieder eingesetzt wurden in den
Segen Gottes? Mit was enteignete und besiegte Christus die Herrschaften
und Mächte der Geister der Bosheit, die des Holzes[9]
des Ungehorsams wegen Fuß gefaßt hatten in unserer Natur, und beschämte
sie durch Seinen Sieg, sodass wir die Freiheit wiedererlangten? Mit
was wurde die Scheidewand entfernt und unsere Feindschaft mit Gott
abgeschafft und beseitigt? Durch was wurden wir wieder versöhnt mit Gott
und wurde uns Friede verkündet in Ihm, wenn nicht mit dem Kreuz und
durch das Kreuz?
Möchten
sie vernehmen, was der Apostel den Ephesern schreibt: "Christus ist
unser Friede, Er, Der die trennende Scheidewand entfernte, um in Sich
die beiden zu einem einzigen neuen Menschen zu erschaffen und Frieden
herbeizuführen, und um beide zu versöhnen mit Gott in einem einzigen
Leib durch das Kreuz, mit welchem Er die Feindschaft ertötet hat" (s.
Eph 2,14-16). Und den Kolossern: "Da ihr tot wart wegen eurer
Verfehlungen und des Unbeschnittenseins eures Fleisches, machte Er euch
lebendig mit Ihm zusammen, indem Er uns alle Verfehlungen vergab, den
gegen uns gerichteten Schuldschein löschte, hinwegnahm und ans Kreuz
heftete. Und nachdem Er die Herrschaften und Mächte entblößt hatte,
stellte Er sie öffentlich an den Pranger durch Seinen Triumph über sie
am Kreuz" (s. Kol 2,13-15).
Die Verehrung des Kreuzes Christi
27. Werden
wir also dieser göttlichen Trophäe der kollektiven Freiheit des
Menschen-geschlechts nicht die Ehre erweisen und nicht Gebrauch machen
von ihr, deren bloßer Anblick die unheilstiftende Schlange in die Flucht
treibt, erniedrigt und beschämt, indem sie deren Niederlage und
Zerschmetterung verkündet, Christus aber verherrlicht, indem sie der
Welt Seinen Sieg vor Augen führt?
Ist
aber das Kreuz zu verabscheuen [wie die Häretiker meinen], weil
Christus auf diesem den Tod erlitten hat, dann ist auch Sein Tod nicht
ehrwürdig und erlösend. Wie aber sind wir dann, wie der Apostel sagt,
getauft worden in Christi Tod (Röm 6,3)? Und wie werden wir dann
teil-haben an Seiner Auferstehung, da dies ja geschehen soll, insoweit
wir teilhatten am Abbild Seines Todes (s. Röm 6,5)?
Wollte
allerdings jemand eine Form des Kreuzes verehren, die nicht die
Inschrift des Namens des Gebieters trägt, so würde er zu Recht
beschuldigt, etwas zu tun, das sich nicht ziemt. Denn "beim Namen Jesu
Christi beugt sich jedes Knie im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt"
(Phil 2,10), und diesen ehrwürdigen Namen trägt das Kreuz. Welcher
Widersinn mithin, nicht das Knie zu beugen vor dem Kreuz Christi!
28. Uns
aber laßt mit den Knien auch die Herzen beugen und zusammen mit dem
Psalmisten und Propheten David anbeten am Ort, wo Seine Füße standen (Ps
131,7), wo Er Seine Arme ausstreckte, um alles zu umfangen, und wo der
lebensspendende Leib für uns zur Schau gestellt wurde. Und indem wir das
Kreuz mit Glauben verehren und küssen, laßt uns in Fülle die Heiligung
schöpfen, die aus ihm fließt, und sie bewahren. So werden wir, nachdem
wir Ihn schon vorher schauten in Seiner Herrlichkeit, auch beim
künftigen, allerherrlichsten Erscheinen unseres Herrn und Gottes und
Erlösers Jesus Christus frohlocken in endlosen Freudensprüngen, als
solche, die den Platz zu Seiner Rechten erlangt und die selige Stimme
und Segnung, die verheißen waren, vernommen haben, zum Ruhm des um
unsertwillen im Fleisch gekreuzigten Sohnes Gottes.
29. Denn
Ihm gebührt die Verherrlichung, zusammen mit Seinem Ursprungslosen
Vater und dem Allheiligen und Guten und Lebenspendenden Geist, jetzt und
immerdar und in die Ewen der Ewen. Amen.
[1]
Dies ist die 11. der insgesamt 63 erhaltenen Homilien des hl. Gregor
Palamas, Erzbischof von Thessaloniki (1296-1359, siehe Das Synaxarion
am 14. November sowie seine Biographie in: Hl. Gregor Palamas, Der
Weg der Läuterung, Chania 2008). Sie wurde gehalten am Sonntag der
Kreuzesverehrung, d.h. am 3. Sonntag der Großen Fastenzeit. Griech.
Urtext in EPEGregPal Bd. 9. Deutsche Übersetzung, unter
Berücksichtigung der engl. Fassung in St. Gregory Palamas, The
Homilies (Mount Thabor Publishing, Waymart PA 2009), vom Kloster des
Hl. Johannes d. Vorläufers, Chania 2011.
[2]
Dies findet sich insbesondere beim hl. Isaiah von Sketis, siehe Abba
Isaїe, Recueil ascétique (Abbaye de Bellefontaine, SO 7bis, 3. Aufl.
1985), Rede 8,68 / 13,2-3 / 17,4 , sowie beim hl. Barsanuphios d.
Großen, Brief 185, s. Barsanuphe et Jean de Gaza, Correspondance
(Abbaye de Solesmes 1993).
[3] Praxis nennen die hl. Väter die erste Phase des geistigen Aufstiegs, jene der Läuterung von den Leidenschaften durch
Askese und Gebet.
Askese und Gebet.
[4] Hl. Arsenios d. Große, Spruch 9, siehe Das Große Gerontikon, S. 402.
[5]
Als Figur (gr. τύπος) bezeichnen die hl. Väter eine prophetische
Vorgestaltung oder Vorschattung (nach dem Bild des Schattens, den
einer vorauswirft, wenn er das Licht im Rücken hat, sodass zuerst sein
Schatten sichtbar wird, bevor er selbst in Erscheinung tritt)
verschiedener Aspekte des Heilsmysteriums Christi im Alten Testament,
welche mit dem Erscheinen des Erlösers volle Wirklichkeit wurden.
[6] So steht es im griechischen AT, der LXX, mit dem hebräischen Wort "Sabek".
[7]
Der hl. Gregor meint hier Barlaam den Kalabrier, Gregor Akinynos und
Nikephoros Gregoras, die auf Grund ihres Rastionalismus und
humanistisch-säkularen Denkens die Unterscheidung zwischen Wesen und
Energie Gottes verwarfen, die Erkennbarkeit des göttlichen Wesens
behaupteten und die Ungeschaffenheit der göttlichen Energien sowie die
Möglichkeit der Gottesschau leugneten. Sie wurden durch die Konzile in
Konstantinopel der Jahre 1341 und 1351 als Häretiker verurteilt.
[8]
Nämlich durch den Stab, mit dem er das Meer öffnete, sodass das vom
Pharao verfolgte Volk trockenen Fußes hindurchgehen konnte, worauf er
es mit dem Stab wieder schloß, sodass die Verfolger in den Fluten
umkamen.
[9] "Holz" ist in den Väterschriften dem griechischen Bibeltext gemäß oft gleichbedeutend mit "Baum" (gr. ξύλο).
http://www.impantokratoros.gr/gregor_palamas_kreuz.de.aspx
http://www.impantokratoros.gr/gregor_palamas_kreuz.de.aspx
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