Hl. Justin von Celije
Die Dogmen des christlichen Glaubens [1]
Quelle: http://www.prodromos-verlag.de/
1. Zum Begriff "Dogmatik"
Die
Bedeutung und logische Definition des Begriffs "Dogmatik" ist in seinem
Namen selbst enthalten. Dogmatik ist die Wissenschaft von den Dogmen
des christlichen Glaubens. Doch da man auf Grund der Vielfalt der
christlichen Glaubensbekenntnisse die Dogmen auf verschiedene Arten
verstehen und interpretieren kann, bezeichnet die Orthodoxe Kirche,
indem sie die Dogmen der göttlichen Offenbarung im evangelischen,
apostolischen und katholischen Geist darlegt und interpretiert, ihre
Dogmatik als "orthodox".[2] Damit sondert und grenzt sie sich ab von den
nicht-evangelischen, nicht-apostolischen, nicht-katholischen und
nicht-orthodoxen Heilslehren. Die orthodoxe Dogmatik ist mithin allem
anderen voran die Wissenschaft, welche die Dogmen des orthodoxen
Glaubens systematisch und im Geist der Einen, Heiligen, Katholischen und
Apostolische Kirche darlegt und interpretiert.
2. Zum Begriff "Dogma"
Die
Dogmen sind die ewigen Wahrheiten des Glaubens, die in der heiligen
Offenbarung enthalten sind, so wie die Kirche sie bewahrt, erklärt und
überliefert als göttliche, lebenspendende und unwandelbare Heilsordnung.
Der Begriff "Dogma" ist griechischer Herkunft und leitet sich ab vom
Verb δοκεῖν (denken, erachten, glauben, meinen). Die Verbform δέδοκται
(Perfekt Passiv 3. Person) bedeutet wörtlich: "Es wurde entschieden,
definiert, bestimmt" und bezieht sich auf einen als logische und
unbestreitbare Wahrheit definierten und bejahten Gedanken in jedwelchem
Bereich menschlicher Tätigkeit, sei es in der Philosophie, der Religion,
dem Recht usw. [3] Die griechischen und römischen Autoren der Antike
benutzten den Begriff "Dogma" im philosophischen, ethischen, und
juristischen Bereich im Sinn einer Lehre oder Regel, die auf Grund ihrer
Unbestreitbarkeit den Charakter einer logisch und faktisch erhärteten
verbindlichen Wahrheit angenommen hat, oder im Sinn eines Gebots,
Gesetzes oder Dekrets.[4]
Im
Alten Testament bezeichnet das Wort "Dogma" einerseits die politischen
Erlasse, Gesetze und Verordnungen des Staates (Dan 2,13; 3,10; 6,8-9;
Esther 3,9) und andrerseits die Gebote des mosaischen Gesetzes (Ez
20,24) sowie die Bestimmungen, die sich auf das religiöse Leben im
allgemeinen beziehen (II Makk 10,8; 15,36).
Im
Neuen Testament wird das Wort "Dogma" fünfmal verwendet, und zwar zum
einen im politischen Sinn für die Gesetze und Befehle Cäsars (Lk 2,1,
Apg 17,7) und zum anderen im religiösen Sinn für die Gebote des
mosaischen Gesetzes, die zur Zeit Mose für jeden Juden verbindlich waren
(Kol 2,14), ferner für die Gebote des Evangeliums, die verbindlich sind
für alle Mitglieder der Kirche Christi: In der Apostelgeschichte steht
geschrieben, dass die Apostel Paulus und Timotheos den Gläubigen
überlieferten, die von den Aposteln und Ältesten in Jerusalem gefaßten
Beschlüsse einzuhalten [φυλάσσειν τὰ δόγματα τὰ κεκριμένα ὑπὸ τῶν
ἀποστόλων καὶ τῶν πρεσβυτέρων ἐν Ἰερουσαλήμ] (Apg 16,4).[5] Und der
Apostel Paulus schreibt im Epheserbrief, dass der Herr Jesus durch die Dogmen - das heißt durch die ewigen Wahrheiten des Neuen Bundes - das Gesetz der Gebote (des Mose) abgeschafft hat [τὸν νόμον τῶν ἐντολῶν ἐν δόγμασι καταργήσας] (Eph 2,15).
Auf
dieser Grundlage kristallisierte sich schon in apostolischer Zeit der
spezifische kirchliche Sinn des Begriffes "Dogma" als göttliche,
unumgängliche, absolute und für alle verbindliche Glaubenswahrheit
heraus. [6] Der heilige Kyrillos von Jerusalem, der große Verteidiger
der von Gott Selbst stammenden apostolischen Überlieferung,
charakterisiert die grundlegenden Wahrheiten des wahren Glaubens, wie
sie im Glaubensbekenntnis der Kirche von Jerusalem niedergelegt waren,
als "notwendige Dogmen" [ἀναγκαίων δογμάτων], als "gottesfürchtige
Dogmen" [δογμάτων εὐσεβών], und den Glaubensakt, durch welche man sie
sich zu eigen macht zum Heil, als "den dogmatischen Aspekt des Glaubens"
[εἶδος της πίστεως το δογματικόν]. Die Gesamtheit der Lehren des Neuen
Testaments über Gott schließlich nennt er "die Dogmen über Gott" [τὰ
περί Θεού δόγματα] und bezeichnet die persönliche und lebendige
Assimilierung dieser Dogmen kraft eines wirksamen Glaubens als
unabdingbare Voraussetzung für das Heil. Deshalb kann er sagen: "Ein
Erwerb von höchstem Wert ist das Erlernen der Dogmen" [Μέγιστον κτήμα τὸ
τῶν δογμάτων μάθημα].[7]
Der
heilige Gregor der Theologe seinerseits zählt der Reihe nach alle
Wahrheiten des Neuen Testaments auf über Gott den Vater, den Sohn und
den Heiligen Geist, über Gut und Böse, über die Gesamtheit der
Heilsökonomie, und fordert dann den Getauften auf, sein Wohl, seine
Rettung und sein neues Leben zu gründen "auf dieses Fundament der
Dogmen" [ἐπὶ τούτῳ τῷ θεμελίῳ τῶν δογμάτων].[8]
Der
hl. Gregor von Nyssa gliedert die Gesamtheit der christlichen Lehre in
zwei Teile: den ethischen Teil und den eigentlichen dogmatischen
Teil.[9] Der heilige Johannes Chrysostomos faßt unter dem Namen "Dogmen"
die gesamte Lehre des christlichen Glaubens zusammen,[10] und der
heilige Vinzenz von Lérins bezeichnet den universellen Glauben [universalis fides] als "katholisches Dogma" [catholicum dogma].[11]
An den Oekumenischen Konzilen wurde der Begriff "Dogma" benutzt im Sinn
von "Wahrheit der christlichen Glaubenslehre",[12] und die Konzilsväter
bezeichnen ihre Dekrete über den Glauben als "Dogmen", während sie die
Entscheide und Dekrete über andere Themen "Kanones" oder "Regeln"
nennen.
All
dies widerspiegelt sich bis zu einem gewissen Grad auch in der
Bezeichnung "Dogmati-kon", mit welcher die Kirche in ihrer Hymnographie
jene Hymnen bezeichnet, die eine Glaubenslehre enthalten über die
Allheilige Gottesmutter, über die Inkarnation unseres Herrn oder über
Seine beiden Naturen in einer einzigen gottmenschlichen Person.
So
bezeichnet denn in der Sprache der Kirche der Begriff "Dogmen" im
engeren Sinn nur jene göttlich offenbarten Wahrheiten, die den Glauben
betreffen, im Unterschied zu den ebenfalls von Gott offenbarten
ethischen, liturgischen und kanonischen Wahrheiten. Doch darf nie aus
den Augen verloren werden, dass letzten Endes all dies ein unauflösbares
Ganzes bildet.
A. Ihr göttlicher Ursprung
Die
Dogmen sind ewige göttliche Wahrheiten und kennzeichnen sich als solche
durch folgende Haupteigenschaften: ihre Offenbarung durch Gott, ihre
Ekklesialität, ihre universale Verbindlichkeit und ihre Unwandelbarkeit.
A. Die göttliche Offenbarung
ist die grundlegende Eigenschaft, welche die Dogmen zu dem macht, was
sie sind. Sie bezeugt ihren göttlichen Ursprung. Auf Grund dieses
Ursprungs sind die Dogmen nicht nur Glaubenswahrheiten, sondern von Gott
Selbst offenbarte Glaubenswahrheiten. Ihres göttlichen Ursprungs wegen
sind diese Wahrheiten unanfechtbar, ewig, heilbringend, unbegreiflich
und jenseits des menschlichen Verstands. Hätte nicht Gott Selbst sie
offenbart, wären sie ewiglich unzugänglich geblieben für jedwelches
Bemühen, sei es seitens der kollektiven Intelligenz der Menschheit
insgesamt, sei es seitens der individuellen Intelligenz irgendeines
Menschen.
Aus
diesem Grund sind die Dogmen Sache des Glaubens und werden kraft des
Glaubens angenommen als göttliche Wahrheiten, die höher sind als der
Verstand. Deshalb auch stellt die Kirche an den Anfang des Bekenntnisses
jenes "Ich glaube" (gr. Πιστεύω, slaw. Veruju).
Aus
ihrem göttlichen Ursprung, aus Gott Selbst, Der sie offenbart hat,
beziehen die Dogmen die Wahrheiten über die göttliche Dreiheit, über
Gottes Beziehung zur Schöpfung und zum Menschen als Schöpfer, als
Fürsorger, als Erlöser, als Erleuchter und als Richter. In alledem kennt
nur Gott allein Sich Selbst, und deshalb ist Er allein imstand, Sich
Selbst und Seine Wahrheiten zu offenbaren (s. Mt 11,27). Und Er tut es
durch Seinen inkarnierten Sohn, den Einziggeborenen (Joh 1,18 und 1,14), in Dem die ganze Fülle der Gottheit wohnt in leiblicher Weise
[πᾶν τὸ πλήρωμα τῆς Θεότητος σωματικώς] (Kol 2,9), und mit ihr zusammen
die ganze Fülle der göttlichen Wahrheiten (Joh 1,14; 1,17; 5,33;
8,32ff; 14,6; 17,17ff, 18,37; Eph 1,13; 4,21), die Er aus Seinem eigenen
guten göttlichen Willen denjenigen offenbart, die an Ihn glauben und
durch Ihn und für Ihn leben (s. Mt 11,27, Joh 1,12-13, 3,34-36, 6,45-46,
Mt 16,17, Eph 3,3, Gal 1,12, 1 Joh 1,1ff).
Weil
sie von Christus stammen, sind diese dogmatischen Wahrheiten göttlich,
ewig, unwandelbar und absolut wahr (s. Joh 14,6; 1,17; 8,12; 12,35,
12,46). Sie bilden zusammen die vollkommene und endgültige Offenbarung
Gottes. Sie sind das Letzte Wort, jenes, das Gott den Menschen
unmittelbar verkündet hat durch Seinen Einzigen Sohn (s. Hebr 1,1).
Auf
Grund ihres göttlichen Ursprungs unterscheiden sich die christlichen
Dogmen, die göttliche und ewige Wahrheiten sind, von den Dogmen der
nichtchristlichen Religionen und von den philosophischen Lehren, welche
relative und vergängliche menschliche Wahrheiten sind. Ewige göttliche
dogmatische Wahrheiten außerhalb der christlichen Offenbarung gibt es
nicht und kann es nicht geben. Die göttlichen Wahrheiten sind ein für
allemal in der Heiligen Offenbarung gegeben, und die Kirche bewahrt sie
und bekennt sie als solche.
Auf
Grund des göttlichen Ursprungs der Dogmen und all dessen, was daraus
folgt, bezeichnen die Heiligen Väter und Lehrer unserer Kirche
dieselben als "Dogmen Gottes"[13], "Dogmen Christi",[14] "Dogmen des
Herrn",[15] "evangelische Dogmen",[16] "göttliche Dogmen",[17]
"apostolische Dogmen", [18] "wahre Dogmen",[19] "Dogmen der himmlischen
Philosophie".[20] Der heilige Basilios der Große schreibt: "Von den
Dogmen und Verkündigungen, die in der Kirche bewahrt werden, haben wir
die einen aus der schriftlichen Unterweisung [der Heiligen Schrift]
empfangen, während wir die anderen, die aus der Überlieferung der
Apostel auf uns gekommen sind, im Mysterium [ἐν μυστηρίῳ] empfangen
haben.[21] Die einen wie die anderen haben dieselbe Gültigkeit für den
rechten Glauben."[22]
B. Ihre Ekklesialität
Die
Ekklesialität ist die zweite Eigenschaft eines jeden der christlichen
Dogmen. Da jedes dieser Dogmen Werk der Offenbarung ist, ist es auch
Werk der Kirche, denn die Kirche ist der Leib der Offenbarung. Die
göttliche Offenbarung umfaßt alle dogmatischen Glaubenswahrheiten, und
sie vollzieht sich allein in der Kirche. Die Formulierung und
Kommentierung der heiligen Dogmen ist Sache der Kirche als dem
gottmenschlichen Leib Christi, der durch den Heiligen Geist lebt und
wirkt. Hierin ist sie unfehlbar, weil ihr Haupt Christus ist, der
Unfehlbare (s. Eph 1,22-23; 5,23, Kol 1,18; 1,24), und weil ihre Seele
der Heilige Geist der Wahrheit ist, Der sie zur ganzen Wahrheit führt
(Joh 16,13).
Die
Ekklesialität, jene organische und logische Eigenschaft der Dogmen, ist
mithin vorgegeben durch deren Wesen als göttliche Offenbarung und
umgekehrt. Zwischen göttlichem Ursprung und Ekklesialität der Dogmen
vermag die menschliche Logik keine Grenze zu ziehen, ebensowenig wie sie
eine Grenze ziehen kann zwischen göttlicher Offenbarung und Kirche,
denn die göttliche Offenbarung ist Offenbarung durch die Kirche und
innerhalb der Kirche, geradeso wie die Kirche Kirche ist kraft der
Offenbarung und innerhalb der Offenbarung. So wie jede unerläßlich ist
für die Natur der anderen, sind beide in sich selbst untrennbar
miteinander vereint und bedingen sich gegenseitig.
Außerhalb
der Kirche kann es keine Dogmen geben, weil es außerhalb der Kirche
keine wahre göttliche Offenbarung geben kann. Das Dogma ist Dogma allein
durch die Kirche, für die Kirche und innerhalb der Kirche, und eben
deshalb hat Gott die Kirche als einzigen Hüter und einzigen Kommentator
Seiner Heiligen Offenbarung eingesetzt. Anders gesagt, die Kirche ist
die einzige Jurisdiktion, die kraft göttlicher Gnade und göttlichem
Recht bevollmächtigt ist zum unfehlbaren Unterscheiden der echten
Offenbarung von der falschen, und sie allein legt den Kanon der Heiligen
Schriften fest und verkündet die göttlichen Wahrheiten als Dogmen.
Außerhalb
der Kirche, ohne sie und in Gegnerschaft zu ihr verlieren die ewigen
Wahrheiten der Offenbarung ihre göttliche Authentizität, ihre Substanz
und ihre Unwandelbarkeit und werden zur Beute des menschlichen
Eigenwillens und der menschlichen Launen. Den Beweis dafür sehen wir bei
den Häretikern, die gewöhnlich deswegen abfallen, weil sie die ewigen
Wahrheiten der Offenbarung, die hinausgehen über den menschlichen
Verstand, gemäß ihrem eigenen Verstand auslegen und nicht gemäß dem
Verstand der Kirche, der ein heiliger, ekklesialer, apostolischer und
katholischer Verstand ist.
Doch
der Herr Christus hat die Kirche zu Seinem gottmenschlichen Leib
gemacht, Er hat sie auf immer erfüllt mit dem Geist der Wahrheit, und Er
hat sie eingesetzt, damit sie die Säule und Grundfeste der Wahrheit sei
[στύλος καὶ ἑδραίωμα τῆς ἀληθείας] (1 Tim 3,15, s.auch Joh 16,13;
8,32ff) und damit sie für alle Zeiten der furchtlose Hüter und
untadelige Kommentator der ewigen göttlichen Wahrheiten der Heiligen
Schrift und der Heiligen Tradition bleibe. Als solche kann sie weder
irren, noch täuschen, noch sich täuschen. Ihr Wort ist ein göttliches
Wort, in allen Fragen der Heiligen Schrift und der Heiligen Tradition.
In ihr und durch sie spricht der Herr Christus mit Seinem Heiligen Geist
und führt jede göttliche Wahrheit zur heiligen Offenbarung.
Die
erste Kundgebung hiervon finden wir in der Apostelgeschichte, als die
Kirche, in der Person ihrer Repräsentanten und geführt vom Heiligen
Geist, die für alle Glieder der Kirche ver-bindlichen dogmatischen
Entscheide durch folgende Formel ausdrückte: "Es wurde beschlossen vom Heiligen Geist und von uns ..." [ἔδοξε τῷ Ἁγίῳ Πνεύματι καὶ ἡμῖν] (Apg 15,28, s.a. 16,4).
Dieser
von Gott offenbarten apostolischen Formel und Methode gemäß sind alle
heiligen Oekumenischen Konzile der Orthodoxen Kirche vorgegangen, als
sie die göttlichen Dogmen der heiligen Offenbarung unfehlbar
kommentierten und proklamierten. Wenn die heiligen Väter die Dogmen
bezeichnen als "die Dogmen der Kirche" [τὰ τῆς Ἐκκλησίας δόγματα][23]
oder als "die kirchlichen Dogmen" [τὰ ἐκκλησιαστικά δόγματα],[24] so tun
sie das kraft der Vollmachten und Rechte, die Gott der Kirche verliehen
hat zur Sanktionierung der heiligen Dogmen.
Deshalb
kann keiner Glied der Kirche sein, wenn er nicht alle Dogmen des
Glaubens so annimmt und glaubt, wie die Kirche sie lehrt und
interpretiert. Denjenigen, der sich ihnen widersetzt, sie ablehnt oder
sie umwirft, den trennt die Kirche ab von ihrem gottmenschlichen Leib
und stößt ihn aus. Die Heiligen Väter des 6. Oekumenischen Konzils
zählten alle Dogmen der vorhergehenden Oekumenischen Konzile der Reihe
nach auf und ordneten dann an: "Wenn einer nicht alle dieser
vorerwähnten heiligen Dogmen bewahrt und auch nur ein einziges davon
verwirft, wenn er nicht diesen Dogmen gemäß denkt und verkündet, sondern
versucht, sich ihnen entgegenzustellen, so sei er Anathema., ... er sei
ausgeschlossen aus der christlichen Gemein-schaft als ein ihr Fremder
und verworfen..." [25]
C. Ihre universelle Verbindlichkeit
Die
universelle Verbindlichkeit der Dogmen, so wie die Heiligen Väter des
6. Oekumenischen Konzils sie definieren, ist die natürliche Folge ihres
göttlichen Ursprungs und ihrer Unerläßlichkeit für das Heil eines jeden
Glieds der Kirche. Weil die Dogmen offenbart sind durch die Dreisonnige
Gottheit und von der Kirche Christi sanktioniert und ver-kündet wurden
als ewige göttliche Wahrheiten, die unentbehrlich sind für das Heil,
sind sie verbindlich für jedwelchen Menschen, der das Heil begehrt. Sie
zu verleugnen wäre gleichbedeu-tend mit der Verleugnung des Erlösers und
Seines erlösenden Heilswerks. Nur indem er sich durch den Glauben die
Dogmen als ewige göttliche, erlösende und lebendigmachende Wahrheiten zu
eigen macht, kann jeder Mensch das Heil und das ewige Leben erlangen
(s. Mt 28,19-20, Mk 16,15-16, Joh 5,24; 6,40; 7,38-39; 17,3-6, 1 Joh
5,20).
In
ihrer Reinheit und Wahrhaftigkeit als Offenbarungen Gottes Selbst sind
die Dogmen unerläßlich für das Heil. Derjenige, der sie ändern oder
umgestalten will, setzt sich damit dem schrecklichen apostolischen
Anathema aus: Doch sogar wenn wir selbst oder ein Engel vom Himmel
her euch etwas anderes verkünden sollte als das, was wir euch verkündet
haben [εὐαγγε-λίζηται ὑμῖν παρ' ὃ εὐηγγελισάμεθα ὑμῖν], so sei er Anathema! (Gal 1,8; s.a. 1 Joh 2,21-23).
Die
Kirche ist stets vorgegangen und geht stets vor kraft der Macht, die
ihr verliehen worden ist vom Herrn Christus Selbst (s. Joh 20,21-23, Mt
18,17-18). Von allen, die sich ihr anschließen, verlangt sie das
Bekenntnis zur Wahrheit aller göttlichen Glaubenslehren. Und während sie
in ihrem Schoß Sünder aller Art duldet, die zu berichtigen und zu
retten sie sich bemüht, gemäß dem Gebot des Retters (Mt 18,17-18;
10,32-33; Mk 8,38; Lk 9,26; 12,9; s.a. 2 Tim 2,12), stößt sie all jene
von sich, die sich den heiligen Dogmen widersetzen oder sie umgehen.
Wenn
die Annahme der Dogmen eine allen gemeinsame Verpflichtung ist, eine
absolute Vorbedingung des Heils, so auch deshalb, weil von dieser
Annahme das ganze sittliche Leben der Menschen abhängt.[26] Indem der
Mensch sich kraft des Glaubens die ewigen dogmatischen Wahr-heiten der
göttlichen Offenbarung aneignet und sie durch die evangelischen Werke
des Gebets, des Fastens, der Liebe, der Hoffnung, der Demut, des
Friedens, des Erbarmens und der Gerechtigkeit sowie durch die heiligen
Mysterien allmählich verinnerlicht, wächst er hin zu Gott, mit dem Wachstum, das Gott wirkt (Kol. 2,19), um schließlich das volle Maß der Fülle Christi (Eph 4,13) zu erreichen.
Die
heiligen Dogmen als ewige göttliche Wahrheiten verhelfen zum Heil durch
die belebende Kraft der Dreieinigen Gottheit, aus Der sie die ganze
Kraft des neuen Lebens gemäß Christus, die ganze Kraft des evangelischen
Segens empfangen. Sie sind wahrlich Worte ewigen Lebens (Joh 6,68). Eben deshalb, weil sie Worte Christi sind, sind sie Geist und sind Leben [πνεύμα
καὶ ζωή ἐστι] (Joh 6,63). Ohne Glauben an sie kann keiner den ewigen
Sinn dieses vergänglichen Leben erfassen, noch auch die selige
Unsterblichkeit des ewigen Lebens erlangen (s. Joh 6,69; 14,6; 1 Joh
5,20).
Erst
dann, wenn der Mensch kraft des Glaubens die ewigen dogmatischen
Wahrheiten Christi annimmt, wird er dem göttlichen Weinstock, Christus,
eingepfropft. Erst dann beginnt in ihm der Saft des ewigen göttlichen
Lebens zu strömen, der ihn befähigt, reiche Frucht hervorzubringen zum
ewigen Leben. Dies ist für den Menschen, der seine Natur unfruchtbar
gemacht hat durch die Sünde, der einzige Weg, sie wiederum fruchtbar zu
machen zur Unsterblichkeit und Ewigkeit. Einen anderen Weg gibt es
nicht. Der Mensch kann nur dann hinwachsen bis zur Ebene der göttlichen
Vollkommenheit (s. Mt 5,48), wenn er durch das Werk der
Selbstverleugnung, kraft des Glaubens, zum Teilhaber wird an der Wurzel
[συγκοινωνὸς τῆς ῥίζης] der ewigen Wahrheiten Christi (s. Röm 11,17).
In
Wirklichkeit sind die Dogmen die Gebote Gottes, die göttlichen
Satzungen des neuen Lebens im Heiligen Geist, denn durch ihr Licht ohne
Untergang erleuchten sie den ganzen Weg, den der Mensch des Glaubens
geht von der dunklen Höhle des Leibes bis zum Himmel der Ewigkeit
Christi. Deshalb ist die orthodoxe Ethik nichts anderes als die
Assimilierung der Dogmen im eigenen Leben. Das neue Leben in Christus
ist zur Gänze gewoben aus den dogmatischen Wahrheiten der heiligen
Offenbarung.[27]
Die
Kirche ist jener Leib, in welchem die göttlichen dogmatischen
Wahrheiten strömen wie Blut ewigen Lebens, das alle Glieder des
gottmenschlichen Organismus belebt. Alles was sich in diesem
geheimnisvollen und gesegneten Leib der Kirche befindet, wird durch die
belebende Kraft des Heiligen Geistes zusammengebunden zu einer
wunderbaren gottmenschlichen Ganzheit.
Derjenige, der kraft des orthodoxen Werks des Glaubens zum Glied dieses gottmenschlichen Leibs der Kirche Christi wird, empfindet mit seinem ganzen Wesen, dass die heiligen Dogmen belebende Kräfte sind, die ihn nach und nach vom Sterblichen zum Unsterblichen machen, vom Vergänglichen zum Ewigen. Er erkennt in seiner Seele, dass diese belebenden dogmatischen Wahrheiten die größte aller Notwendigkeiten sind im Leben und im Denken der Menschen und dass die Kirche infolgedessen mit vollem Recht all jene von sich stößt, die diese Dogmen leugnen, sie umwerfen oder verzerren. Wenn ein Mensch die heiligen Dogmen leugnet oder umwirft, so ist das, wie wenn er geistigen Selbstmord beginge, denn damit trennt er sich vom lebenspendenden Leib der Kirche, schneidet den lebendigen Kontakt ab zwischen sich selbst und den gesegneten Kräften der Kirche, die allein fähig sind, den Menschen mit ewigem göttlichem Leben zu erfüllen und ihn hinüberzuführen vom Tod ins ewige Leben.
Derjenige, der kraft des orthodoxen Werks des Glaubens zum Glied dieses gottmenschlichen Leibs der Kirche Christi wird, empfindet mit seinem ganzen Wesen, dass die heiligen Dogmen belebende Kräfte sind, die ihn nach und nach vom Sterblichen zum Unsterblichen machen, vom Vergänglichen zum Ewigen. Er erkennt in seiner Seele, dass diese belebenden dogmatischen Wahrheiten die größte aller Notwendigkeiten sind im Leben und im Denken der Menschen und dass die Kirche infolgedessen mit vollem Recht all jene von sich stößt, die diese Dogmen leugnen, sie umwerfen oder verzerren. Wenn ein Mensch die heiligen Dogmen leugnet oder umwirft, so ist das, wie wenn er geistigen Selbstmord beginge, denn damit trennt er sich vom lebenspendenden Leib der Kirche, schneidet den lebendigen Kontakt ab zwischen sich selbst und den gesegneten Kräften der Kirche, die allein fähig sind, den Menschen mit ewigem göttlichem Leben zu erfüllen und ihn hinüberzuführen vom Tod ins ewige Leben.
Die
Lebensnotwendigkeit der heiligen Dogmen rechtfertigt die konsequente
Verteidigung der Glaubenswahrheiten durch die Kirche. Sie erklärt jene
gottweise Entschlossenheit, mit welcher die Kirche jene verwirft, die
die göttlichen Dogmen umwerfen. Bliebe die Kirche in solchen Fällen
gleichgültig, würde sie aufhören, Kirche zu sein, und erwiese einen
schwerwiegenden Mangel an Bewußtsein des unwandelbaren, lebenspendenden
und erlösenden Charakters der ewigen göttlichen Wahrheiten, die in den
heiligen Dogmen der Offenbarung enthalten sind.
Wenn
die Dogmen allgemein verbindlich sind für den wahren Glauben, so auch
deshalb, weil sie die von Gott gegebenen Satzungen sind für echtes
religiöses Denken und echte religiöse Erfahrung. Sie sind es, die es
dem Mensch ermöglichen, in seinem Bewußtsein und seinem Empfinden
fortzuschreiten zu unvorstellbaren göttlichen Vollkommenheiten, wogegen
er außer-halb von ihnen unwiederbringlich im Sumpf des menschlichen
Relativismus versinkt und erstickt. Nirgendwo auf Erden oder in den
Himmeln gibt es mehr Freiheit und mehr Möglichkeiten ewiger
Bewußtwerdung und ewiger menschlicher Erfahrung als in den göttlichen
dogmatischen Wahrheiten der Kirche. Sie sind es, die den Menschen in das
Reich der Dreieinigen Gottheit führen, wo alles grenzenlos, ewig und
endlos ist. Gibt es irgendwo mehr Freiheit als in den unergründlichen
Tiefen und grenzenlosen Höhen des göttlichen Geistes? Diese ewige
Wahrheit verkündet der Apostel, wenn er sagt: Wo der Geist des Herrn ist, da ist die Freiheit [οὗ δὲ τὸ Πνεύμα Κυρίου, ἐκεῖ ἐλευθερία] (2 Kor 3,17; s.a. 1 Kor 2,10-12; Röm 8,16).
D. Ihre Unwandelbarkeit
Die
Unwandelbarkeit als Eigenschaft der Dogmen folgt daraus, dass die
Dogmen von Gott Selbst offenbart sind, sowie aus ihrer Ekklesialität und
ihrer Unerläßlichkeit für das Leben und das Heil der Menschen. Weil sie
von Gott Selbst gegebene Glaubens-regeln sind, hängt das Heil der
Menschen von ihrer Assimilierung ab. Deshalb sind die Dogmen unwandelbar
und unantastbar. Diese Unwandelbarkeit garantiert die Katholische
Kirche Christi [28] durch ihre Anathemata gegen diejenigen, die sie
umzuwerfen suchen.[29]
Sowenig
wie Gott Sich ändert, sowenig ändern sich auch Seine Wahrheiten. Da die
Dogmen ewige göttliche Wahrheiten sind, ändern sie sich nicht und
können sich nicht ändern. Sie sind aus Gott, bei Dem kein Wandel ist, kein Schatten von Veränderung
(Jk 1,17). Da sie von Gott Selbst der Kirche übergeben und von der
Kirche sanktioniert und formuliert sind, können die Dogmen weder
verändert noch vermehrt oder vermindert werden. "Die göttlichen Dogmen
sind unwandelbar", sagt der heilige Basilios der Große.[30] Und der
heilige Vinzenz von Lérins schreibt: "Die Dogmen der himmlischen
Philosophie dürfen nicht abgeändert, verzerrt oder verstümmelt
werden",[31] den sie sind nicht wie die Statuten von menschlichen
Institutionen, welche ständig überprüft und verbessert werden müssen.
Zusammenfassend
gesagt: Die christlichen Dogmen sind ewige göttliche Wahrheiten, die
Gott Selbst offenbart und der Kirche übergeben hat als göttliche,
unwandelbare und für alle Gläubi-gen verbindliche Glaubensregeln, ohne
welche und außerhalb welcher das Heil unerreichbar, der Sinn des Daseins
unerkennbar und das ewige Leben unerfahrbar ist.
4. Dogmen und göttliche Offenbarung
Die
göttliche Offenbarung ist die einzige und alleinige Quelle der Dogmen.
Der Dreieinige Gott hat Sich - Sich Selbst und Seine Wahrheiten - den
Menschen offenbart, damit sie wahre Kenntnis haben können von Ihm und
wahren Glauben an Ihn, und damit sie durch das Leben in Ihm und in
Seinen göttlichen Wahrheiten erlöst werden vom Bösen und von der Sünde
und das ewige Leben erlangen.
Diese
Selbstoffenbarung hat Gott stufenweise vollzogen durch die heiligen
Patriarchen und Propheten des Alten Testaments, um sie schließlich durch
Seinen Einziggeborenen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, zur ganzen
Fülle und Vollendung zu bringen. Auf viele und verschiedene Arten
hat Gott vormals zu unseren Vätern gesprochen durch die Propheten, und
in diesen Tagen, die die letzten sind, hat Er zu uns gesprochen durch
Seinen Sohn, Den Er eingesetzt hat als Erbe aller Dinge und durch Den Er
auch die Welten erschuf (Hebr 1,1-2; s.a. Gal 4,45).
Gott
hat Sich den Menschen offenbart auf eine Weise, die weder dem
menschlichen Bewußt-sein noch der menschlichen Erfahrung Gewalt antat.
Er hat Wahrheiten offenbart, zu denen die Menschen niemals durch ihre
eigenen Kräfte hätten gelangen können, weder in ihrem Bewußt-sein noch
in ihrer Erfahrung. Was das Auge des Menschen niemals zu sehen, sein Ohr
niemals zu vernehmen und sein Herz niemals zu empfinden vermochte (s. 1
Kor 2,9 / Is 64,3; 1 Kor 2,10), das hat Gott den Menschen durch Seinen
Heiligen Geist offenbart. Er hat im Mysterium [ἐν μυστηρίῳ] die Weisheit
offenbart, die von jeher in Seinem Allheiligen Sein verborgen war (s. 1
Kor 2,7). Diese Weisheit Gottes, die ewig, grenzenlos und über dem
menschlichen Verstand ist, konnte den Menschen nur durch göttliche Offenbarung [κατὰ ἀποκάλυψιν] mitgeteilt werden (s. Eph 3,3, Gal 1,12).
Und
was noch wunderbarer ist – sie ist nicht nur durch das Wort mitgeteilt
worden, sondern sie ist im Fleisch erschienen, in der gottmenschlichen
Person des Herrn Jesus. Deshalb zeigt und verkündet die Offenbarung Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit [Χριστόν Θεού δύναμιν καὶ Θεού σοφίαν] (1 Kor 1,24; s.a. Röm 1,16), als Denjenigen, in Dem alle Schätze der Weisheit und des Wissens verborgen sind [ἐν ᾧ εἰσι πάντες οἱ θησαυροὶ τῆς σοφίας καὶ τῆς γνώσεως ἀπόκρυφοι] (Kol 2,3) und durch Den sie offenbart werden.
Deshalb
ist die Offenbarung Jesu Christi einzigartig in ihrem Wesen, in ihrer
Vollkommenheit und ihrer Vollständigkeit, denn Er allein ist es, Der uns
in Seiner gottmenschlichen Person, inkarniert in den Grenzen des
menschlichen Körpers, in den Kategorien von Zeit und Raum, wie sie dem
Leben des Menschen eigen sind, Gott und alle göttlichen Wahrheiten auf
reale Weise zeigt (s. Kol 2,9; Joh 14,9; 1 Joh 1,1-2). Das Wort ward Fleisch [ὁ Λόγος σάρξ ἐγένετο] (Joh 1,14) und mit Ihm zusammen alle ewigen göttlichen Wahrheiten, denn in Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit in leiblicher Weise
(Kol 2,9). Leib geworden, sagt der Apostel, offenbart Er, zeigt Er uns
Gott so, wie niemals ein anderer vor Ihm oder nach Ihm es je getan hat
noch je zu tun vermöchte.
Deshalb sagt uns der Apostel und Evangelist, indem er uns die frohe Botschaft verkündet, mit vollem Recht: Keiner hat Gott je gesehen; Sein Einziggeborener Sohn [ὁ μονογενής Υἱός], Er, Der im Schoß des Vaters ist, Er hat Ihn bekanntgemacht [ἐξηγήσατο] (Joh 1,18; s.a. Joh 6,46; 5,37; 12,45). Der Erlöser Selbst bezeugt es: "Keiner
kennt den Sohn außer dem Vater, und keiner kennt den Vater außer dem
Sohn und demjenigen, dem der Sohn den Vater offenbaren [ἀποκαλύψαι] will" (Mt 11,27; s.a. Joh 3,34-35; 6,46; Mt 16,17).
So
ist denn die Offenbarung - in allem göttlich, vollkommen und über dem
menschlichen Verstand - für uns die einzige und alleinige Quelle der
heiligen göttlichen Dogmen. Der heilige Gregor von Nyssa sagt: "Was uns
betrifft, so sind wir nicht ermächtigt worden, zu behaupten, was uns
gefällt. Für jedes Dogma nehmen wir die Heilige Schrift als Maß und
Regel... Unsere Dogmen auf die Regeln der Dialektik zu gründen, auf eine
Wissenschaft, welche Schlußfolgerun-en zieht und widerlegt, würde eine
Art von Diskussion mit sich bringen, von der wir verschont zu bleiben
bitten, denn dies ist eine schwache und fragwürdige Methode zum Nachweis
der Wahrheit. Es ist in der Tat offenkundig für jedermann, dass die
Subtilitäten der Dialektik in beide Richtungen angewandt werden können -
zur Umwerfung der Wahrheit ebenso wie zur Bloßstellung der
Falschheit."[32]
Da
der Dreieinige Herr Seine Offenbarung auf zwei Arten vollzogen hat,
nämlich durch das gesprochene Wort und durch die Schrift, und da Er ihre
Bewahrung, Interpretation und Weitergabe Seiner Kirche anvertraut hat,
ist die göttliche Offenbarung in diesen zwei Formen die Quelle der
heiligen Dogmen: in der Form der Heiligen Schrift und in der Form der
Heiligen Tradition. Diese beiden sind es, die in ihrer göttlichen
Reinheit und Vollständigkeit bewahrt, interpretiert und gelehrt werden
von der Einen und Einzigen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen
Kirche, der unfehlbaren Orthodoxen Kirche Christi.
Hierzu haben die orthodoxen Ersthierarchen in der jüngsten Vergangenheit Folgendes gesagt:
–
"Der orthodoxe Christ ist gehalten, ohne Zweifel zu anerkennen (Kanon
82 des 6. Oekume-nischen Konzils), dass alle Glaubensartikel der
Orthodoxen Katholischen Kirche derselben von unserem Herrn Jesus Christ
übergeben sind vermittels Seiner Apostel, und dass die Oekumenischen
Konzile sie erläutert und bekräftigt haben, und an sie zu glauben, so
wie es die Apostel gebieten: So steht denn fest, Brüder, und bewahrt die Überlieferungen [τὰς παραδόσεις], die ihr gelehrt worden seid, sei es durch eine Rede, sei es durch einen Brief von uns (2 Thess 2,15)." [33]
Daraus
sieht man, dass die Glaubensartikel ihre Wichtigkeit und ihre Kraft
einesteils aus der Heiligen Schrift beziehen, zum anderen Teil aus der
Überlieferung der Kirche sowie aus den Lehren der Konzile und der
Heiligen Väter. Das bedeutet, dass die Dogmen von zweifacher Art sind:
Die einen sind schriftlich überliefert und sind in den Büchern der
Heiligen Schrift enthalten, die anderen wurden mündlich überliefert
durch die heiligen Apostel und erläutert und bekräftigt durch die
Konzile und die Heiligen Väter. Auf dieser zweifachen Art von Dogmen
gründet unser Glaube.
–
"Obwohl die Kirche geschaffen ist und aus Menschen besteht, ist doch
ihr Schöpfer Selbst, Christus der wahre Gott, ihr Haupt, und der Heilige
Geist führt sie immerdar und macht sie, wie der Apostel sagt, zur Braut
Christi, ohne Makel, ohne Runzeln (Eph 5,27), aber auch zur Säule und Grundfeste der Wahrheit
(1 Tim 3,15). Ihre Dogmen und ihre Lehre kommen nicht von Menschen,
sondern von Gott. Wenn wir daher sagen, dass wir an die Kirche glauben,
so meinen wir damit, dass wir an die Heiligen Schriften glauben, die
Gott ihr anvertraut hat, und an ihre von Gott offenbarten Dogmen. Dies
ist es, was uns bewegt, nicht nur dem Heiligen Evangelium zu glauben,
das die Kirche angenommen hat, wie es Christus Selbst gebietet, da Er
sagt: 'Glaubt an das Evangelium' (Mk 1,15), sondern auch allen anderen Schriften und Anordnungen der Konzile." [34]
Und in ihrer Enzyklika über den Orthodoxen Glauben erklären die orthodoxen Patriarchen:
– "Wir glauben, dass die Heilige und Göttliche Schrift von Gott gelehrt worden ist. Deshalb sollen wir ohne Zweifel an sie glauben, nicht auf unsere eigene Art, sondern so, wie die Katholische Kirche[35] sie interpretiert und überliefert hat. Denn auch die häretische Eitelkeit anerkennt die Heilige Schrift, interpretiert sie aber auf irrige Art.... Deshalb glauben wir, dass das Zeugnis der Katholischen Kirche nicht geringer ist an Autorität als die göttliche Schrift. Denn Ein und Derselbe Heilige Geist ist Urheber von beiden, und es läuft auf dasselbe heraus, ob man aus der Heiligen Schrift lernt oder aus der Katholischen Kirche. Jeder Mensch, der aus sich selbst redet, kann irren, sich täuschen oder getäuscht werden, doch die Katholische Kirche, die niemals aus sich selbst geredet hat, noch es je tut, sondern aus dem Geist Gottes - Der sie ständig reich macht und Den sie als Lehrer hat auf immer -, kann sich in keiner Weise irren, noch getäuscht werden oder täuschen, sondern wie die göttliche Schrift ist sie unfehlbar und hat ewige Autorität." [36]
– "Wir glauben, dass die Heilige und Göttliche Schrift von Gott gelehrt worden ist. Deshalb sollen wir ohne Zweifel an sie glauben, nicht auf unsere eigene Art, sondern so, wie die Katholische Kirche[35] sie interpretiert und überliefert hat. Denn auch die häretische Eitelkeit anerkennt die Heilige Schrift, interpretiert sie aber auf irrige Art.... Deshalb glauben wir, dass das Zeugnis der Katholischen Kirche nicht geringer ist an Autorität als die göttliche Schrift. Denn Ein und Derselbe Heilige Geist ist Urheber von beiden, und es läuft auf dasselbe heraus, ob man aus der Heiligen Schrift lernt oder aus der Katholischen Kirche. Jeder Mensch, der aus sich selbst redet, kann irren, sich täuschen oder getäuscht werden, doch die Katholische Kirche, die niemals aus sich selbst geredet hat, noch es je tut, sondern aus dem Geist Gottes - Der sie ständig reich macht und Den sie als Lehrer hat auf immer -, kann sich in keiner Weise irren, noch getäuscht werden oder täuschen, sondern wie die göttliche Schrift ist sie unfehlbar und hat ewige Autorität." [36]
Dogmen und Heilige Schrift
Die
Heilige Schrift ist die Quelle aller heiligen Dogmen, doch nur in jenem
Sinn, in jener Form und mit jenem Inhalt, wie die Eine, Heilige,
Katholische und Apostolische sie interpretiert, besitzt und bewahrt, als
vom Herrn Christus und den heiligen Aposteln stammend. Als
gottmenschlicher Leib Christi, belebt vom Heiligen Geist, besitzt sie
allein göttli-che Autorität und Befugnis, um den vollständigen Inhalt
und den von Gott offenbarten Sinn der Heiligen Schrift mit heiliger
Hingabe zu hüten und unverändert zu bewahren.
Weil
die Kirche Christi durch den Heiligen Geist lebt, denkt, sich bewegt
und existiert, ist sie allein imstand, Gottes Heilige Schrift in ihrer
göttlichen Vollständigkeit und Reinheit zu bewahren und ihre göttlichen
Wahrheiten unfehlbar zu interpretieren. Der heilige Hippolytos drückt
diese evangelische Wahrheit aus, wenn er sagt, dass nur "der Geist der
Kirche" Führer ist und sein kann bei der Bewahrung und Auslegung der
Heiligen Schrift.[37]
Bei
der Auslegung der Heiligen Schrift als Quelle der heiligen Dogmen kann
keiner der Menschen noch auch irgendetwas Menschlicher Führer und
Maßstab sein. Keiner der Menschen, denn alle sind geschaffen, alle sind
begrenzt, alle tragen die Spur der Sünde in sich, wogegen die Wahrheiten
der Heiligen Schrift alle ewig sind, unbegrenzt und heilig. Nichts
Menschliches, denn alles, was menschlich ist, ist relativ, winzig und
sündig, wogegen die Wahrheiten der Heiligen Schrift alle absolut sind,
unbegrenzt und ohne Sünde.
Einige
wollen im menschlichen Verstand eine Art Maßstab und Führer sehen für
die Auslegung der Heiligen Schrift. Doch der menschliche Verstand ist
eng und begrenzt. Er ist nicht imstand, die grenzenlosen Wahrheiten
Gottes auf angemessene Weise zu erklären. Er ist nicht imstand, die
absoluten Wahrheiten der Offenbarung auf würdige Weise zu erfassen.
Verdunkelt von der Sünde, vermag er den ewigen Sinn der sündelosen
Wahrheiten Christi nicht zu ergründen. In diesem Bereich stürzt die
Führung des Verstands den Menschen in Chaos und Anarchie, denn das
Endergebnis davon sind ebensoviele Bedeutungen der Heiligen Schrift wie
es menschliche Meinungen gibt.
Eben
das ist bei den protestantischen Rationalisten geschehen: Nachdem sie
die menschliche Vernunft zum Maßstab und Führer bei der Interpretation
der Heiligen Schrift erhoben haben, sind sie am Ende so weit gekommen,
dass es bei ihnen ebenso viele Heilige Schriften gibt wie sie selbst.
Das Chaos und die Anarchie der rationalistischen Interpretation der
Heiligen Schrift füh-ren zwangsläufig zum Nihilismus. Indem sie dem
Grundsatz folgten, dass jeder die Heilige Schrift gemäß seinem eigenen
Verstand interpretiere, haben die protestantischen Rationalisten
unzählige "heilige Schriften" erfunden, unter denen die Heilige Schrift
nicht mehr zu finden ist.
Dies
kann uns nicht überraschen, denn solches ist das unvermeidliche
Endprodukt aller Häresien, die von jeher aufgeschossen sind und
weiterhin aufschießen werden auf dem Boden der rationalistischen
Interpretation der ewigen göttlichen Wahrheiten der Heiligen Schrift.
– "Auch die häretische Eitelkeit", lesen wir in der Enzyklika der Patriarchen des Ostens,
"anerkennt die Heilige Schrift, interpretiert sie aber auf irrige Art,
indem sie Metaphern, Homo-nyme und die Sophistereien der menschlichen
Weisheit benutzt, indem sie zusammenmischt, was sich nicht vermischen
läßt, und auf kindische Weise spielt mit Dingen, über welche sich nicht
spaßen läßt. Wenn jeder die Heilige Schrift nach seiner eigenen
wechselhaften Inspiration interpretieren würde, wäre die Katholische
Kirche nicht kraft der Gnade Christi bis heute die Katholische Kirche,
die immerdar dieselbe Glaubenslehre lehrt und ohne zu Wanken immerdar
auf dieselbe Art glaubt, sondern sie würde in unzählige Teile zerrissen
und von Häresien beherrscht sein. Noch auch wäre die Kirche heilig, die Säule und Grundfeste der Wahrheit (1 Tim 3,15), ohne Makel, ohne Runzeln (Eph 5,27), sondern die Versammlung der Frevler (Ps 25,5), wie es die Versammlung der Häretiker unzweifelhaft ist." [38]
Andere
wiederum sind der Ansicht, dass nur die Heilige Schrift selbst Führer
und Interpret der Heiligen Schrift sein könne. Doch diese Auffassung
zieht fatale Folgen nach sich. Denn die Heilige Schrift ist nicht ein
lebendiges Wesen, das unsere Fragen und Zweifel anhören und beantworten
kann. Sie ist stummes Wort, stummer Buchstabe. Sie direkt als Führer zu
nehmen zur Auslegung ihrer selbst, bedeutet in Wirklichkeit einmal mehr,
den eigenen Verstand zum Führer zu nehmen, denn der Mensch selbst ist
es ja, der seinem eigenen Verstand gemäß eine bestimmte Bibelstelle in
bezug setzt zu anderen und sie auf diese Weise interpretiert. Auch bei
der Befolgung dieser Methode der Schriftauslegung gelangt man letzten
Endes soweit, dass es ebensoviele Interpretationen gibt wie Interpreten.
Die
Interpretation der Heiligen Schrift aus dem Zusammenhang kann sehr
hilfreich sein, doch nur unter der Führung der Kirche und nicht unter
jener des Menschenverstands, denn sie allein ist fähig, unfehlbar durch
alle Tiefen und Höhen der ewigen und göttlichen Wahrheiten der Heiligen
Schrift zu führen. Ohne die gesegnete Führung der Kirche setzt der
Mensch seine Seele mit größter Leichtigkeit fatalen Irrtümern aus bei
der Interpretation der abgrundtiefen Wahrheiten der Offenbarung Gottes.
Eben
das sieht man bei allen Häretikern, denn indem sie sich selbst als
Führer nehmen durch die Abgründe der göttlichen Mysterien der Wahrheiten
der Heiligen Schrift, fallen sie in den Abgrund ihrer eigenen
Träumereien und gehen zugrunde an ihren eigenen ungesunden
Gedankengängen. Es genügt nicht, sich auf die Heilige Schrift zu
berufen. Es ist nötig, sich auf sie zu berufen durch die Kirche und in
der Kirche. Es gibt keinen Häretiker, der sich nicht auf die Heilige
Schrift beruft, schreibt der heilige Hilarius, doch indem er sich auf
sie beruft, verzerrt er sie in Wirklichkeit und beleidigt sie.[39]
Der heilige Vinzenz von Lérins wiedergibt in seinem Commonitorium
die apostolische Lehre über die Kirche als dem einzigen sicheren und
unfehlbaren Führer bei der Auslegung der Heiligen Schrift. Auf den
Einwand: "Wo doch das heilige Wort Gottes niedergeschrieben und
vollkommen und zur Gänze verständlich ist, wenn man gewisse Stellen in
bezug setzt zu anderen, welche Notwendigkeit besteht dann noch für die
Autorität der Schriftauslegung der Kirche?", antwortet er Folgendes:
"Die Notwendigkeit ergibt sich daraus, dass auf Grund der Erhabenheit
der Heiligen Schrift nicht alle sie im selben Sinn verstehen, sondern
dass der eine ihre Worte auf eine Weise versteht, der andere auf eine
andere, sodass man aus ihr – wie festzustellen ist – beinahe ebensoviele
Bedeutungen ziehen kann, wie es Menschen gibt. Novatian erklärt die
Schrift seiner Meinung gemäß, Sabellios, Donatus, Arius, Eunomios und
Makedonios gemäß der ihrigen, Photinos, Apollinarios, Priskillinus,
Jovinian, Pelagius und Celestinus gemäß der ihrigen, Nestorios
schließlich gemäß der seinigen. Deshalb, im Angesicht einer solchen
Vielfalt von Irrtümern aller Art, ist es unabdingbar notwendig, bei der
Interpretation der prophetischen und apostolischen Schriften vorzugehen
nach der Norm des kirchlichen und katholischen Verständ-nisses [secundum ecclesiastici et catholici sensus normam]. " [40]
Noch
andere schließlich betrachten die Erleuchtung durch den Heiligen Geist
als Leitprinzip für die Interpretation der Heiligen Schrift. Doch ein
solches Prinzip öffnet jeder Willkür die Tür, denn jeder kann aus freiem
Ermessen seine persönliche Neigung als sichere Erleuchtung durch den
Heiligen Geist betrachten und verlangen, dass seine Interpretation der
Heiligen Schrift als solche angenommen werde. Und dies ist in der Tat,
was bei den protestantischen Sekten geschieht, die solche Methoden
benutzen bei der Schriftauslegung. Meistens liegen sie im Widerstreit
gegeneinander, womit sie beweisen, dass das, was sie als den wahren Sinn
der Heiligen Schrift proklamiert haben, nichts weiter ist als ein
Kommentar ihres eigenen Dünkens.
Es
gäbe freilich ein evangelisches Mittel, mit welchem sie ihren Anspruch
auf Erleuchtung durch den Heiligen Geist als authentisch nachweisen
könnten, jenes nämlich, dass sie echte Wunder wirken. Das ist jedoch
nicht der Fall, und deshalb erweisen sich ihre Interpretationen immerdar
als bloßes Produkt ihres Eigenwillens und ihrer Vorstellung. Das Fehlen
echter Wunder zeigt, dass sich hinter dieser Methode in Wirklichkeit
ein satanischer Hochmut verbirgt, der vermittels solcher
Schriftauslegungen die Seelen verdirbt, denn berauscht von solchem
Hochmut proklamieren sie mit Geschick und eigenmächtig ihre
unterschiedlichen individuellen Neigungen als Erleuchtungen des Heiligen
Geistes.
Doch
wir wissen – und die Heilige Schrift selbst ebenso wie die Heilige
Tradition legen Zeugnis ab hiervon –, dass der Heilige Geist in Fülle
den wahrhaft demütigen und wahrhaft heiligen Menschen gegeben wird, und
zwar durch die Kirche und in der Kirche (s. Apg 2,1-4; 8,18-23; 1 Petr 5,5, Jak 4,6).
Für
eine wahrheitsgetreue Interpretation der Heiligen Schrift ist es in der
Tat notwendig, erleuchtet und gesegnet zu sein vom Heiligen Geist, doch
dies vermag einer nur innerhalb der Kirche zu erlangen, als Entgelt für
viele evangelische Werke, wie das Beispiel zahlreicher Heiliger Väter
zeigt. "Diejenigen, die die Schrift erforschen wollen," sagt der heilige
Johannes Chrysostomos, "müssen die Erleuchtung von oben haben, damit
sie finden können, was sie suchen, und zu bewahren vermögen, was sie
gefunden haben." [41]
Dogmen und Heilige Tradition
Im
selben Maß wie die Heilige Schrift die Quelle der heiligen göttlichen
Dogmen ist, ist es auch die Heilige Tradition, denn sie ist das
lebendige Wort Gottes, bewahrt in der Kirche durch die mündliche
apostolische Überlieferung. Die Heilige Schrift ist die schriftliche
Überlieferung, und die Heilige Tradition ist die mündliche
Überlieferung. Beide haben denselben göttlichen Ursprung, denn beide
sind die Offenbarung Ein und Derselben Dreieinigen Gottheit. Mehr noch,
die Heilige Tradition ist älter in der Zeit als die Heilige Schrift.
Sowohl im Alten Testament als auch im Neuen ging die Heilige Tradition
den Heiligen Büchern voraus. Mehr als zwanzig Jahre lang hatte die
Kirche kein geschriebenes Neues Testament, sondern die Heilige Tradition
war der einzige Maßstab für den Glauben und für den gesamten Bau des
Heils.
"Die
heiligen Männer des Alten Bundes", schreibt der selige Theophylakt,
"lernten nicht aus Schriften und Büchern, sondern weil sie ein reines
Herz hatten, wurden sie erleuchtet durch die Erleuchtung des Heiligen
Geistes. Sie erkannten den Willen Gottes durch die Zwiesprache mit Gott
von Angesicht zu Angesicht. So geschah es mit Noah, mit Abraham, Isaak
und Jakob, mit Hiob und mit Moses. Doch als die Menschen verdarben und
der Erleuchtung und Unterweisung durch den Heiligen Geist unwürdig
wurden, da gab Gott in Seiner Menschenliebe die Schrift, damit sie dank
ihr sich erinnern möchten an den Willen Gottes. Und im Neuen Bund sprach
Christus am Anfang Selbst zu Seinen Aposteln, worauf Er ihnen die Gnade
des Heiligen Geistes sandte, um sie zu unterweisen. Und da der Herr
voraussah, dass später die Häresien auftreten und unsere Natur verderben
würden, hat es Ihm wohlgefallen, dass das Evangelium geschrieben wurde,
damit wir, unterwiesen durch seine Wahrheiten, der Lüge der Häresien zu
widerstehen vermöchten und unsere Seelen nicht vollends zugrundegehen
würden." [42]
Und
der heilige Johannes Chrysostomos sagt: "Eigentlich sollten wir der
Hilfe des geschrie-benen Worts gar nicht bedürfen, sondern unser Leben
in solcher Reinheit führen, dass die Gnade des Heiligen Geistes unsere
Seelen belehrt anstelle von Büchern, und dass dieselben so, wie letztere
mit Tinte geschrieben sind, vom Heiligen Geist beschrieben werden. Doch
nachdem wir diese Gnade von uns gestoßen haben, kommt und laßt uns
wenigstens dem zweitbesten Weg folgen. Dass aber der erste der bessere
ist, hat Gott sowohl durch Seine Worte als auch durch Sein Wirken
gezeigt. Denn zu Noah, Abraham und seinen Nachkommen sowie zu Hiob und
Moses sprach Er nicht vermittels der Schrift, sondern unmittelbar durch
Sich Selbst, da Er ihre Herzen rein erfand. Als jedoch das ganze
jüdische Volk in den Abgrund der Bosheit fiel, da wurden die Schrift und
die Gesetzestafeln notwendig, mit den Ermahnungen, die sie enthalten.
"Wie
wir sehen, geschah es so nicht nur bei den Heiligen des Alten Bundes,
sondern auch bei jenen des Neuen, denn den Aposteln wurde von Gott
nichts Geschriebenes gegeben, sondern anstelle von geschriebenen Worten
verhieß Er ihnen die Gnade Heiligen Geistes. "Er wird euch an alles erinnern",
sagte Er zu ihnen (Joh 14,26). Und damit du erkennst, dass dies bei
weitem das Bessere ist, vernimm, was Er durch den Propheten sagte: "Ich
werde einen neuen Bund schließen mit ihnen... die Gesetze werde Ich in
ihr Denken setzen, und sie in ihre Herzen schreiben" (Jer 38,33), "und alle werden belehrt sein von Gott Selbst"
(Is 54,13 /Joh 6,45). Auch Paulus zeigt die Überlegenheit des
ersten über das zweite, indem er sagt, dass die Christen ein Gesetz
empfangen haben, geschrieben nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf Tafeln von Herzen aus Fleisch
(2 Kor 3,3). Doch nachdem etliche Zeit verflossen war und die einen
sich von der wahren Lehre entfernt hatten, die anderen von der Reinheit
der Lebensführung und der Sitten, da wurde abermals die Ermahnung durch
das schriftliche Wort notwendig." [43]
In
allen Dingen sind die Heilige Schrift und Heilige Tradition
gleicherweise notwendig, gleicherweise wichtig, gleicherweise
unwandelbar. Ihre Gleichwertigkeit zeigt der Apostel Paulus, wenn er den
Thessalonikern schreibt: Brüder, bewahrt die Überlieferungen [τὰς παραδόσεις], die ihr gelehrt worden seid , sei es durch eine Rede, sei es durch einen Brief von uns
[εἴτε διὰ λόγου εἴτε δι' ἐπιστολῆς ἡμῶν] (2 Thess 2,15; s. auch 1 Tim
6,20; Kol 2,8; 1 Kor 11,2; 2 Tim 1,13; 2,2; 3,14; 2 Joh 12; Joh 21,25,
Mt 4,23;; 9,35; Mk 6,2; 10,1; Lk 24,27; Apg 1,3;20,30-31).
In seinem Kommentar zu diesen Worten des Apostels sagt der hl. Johannes Chrysostomos:
"Daraus
ist klar zu ersehen, dass die Apostel nicht alles durch Briefe
überliefert haben, sondern viele Dinge auch ungeschrieben. Und die einen
wie die anderen sind gleicherweise glaubwürdig. Deshalb betrachten wir
die Tradition der Kirche ebenfalls als glaubwürdig. Es ist überliefert -
verlange nichts weiter [Παράδοσις ἑστι, μηδὲν πλέον ζητεῖ]." [44]
Denjenigen,
die sich bekehrten, wurden keine Bücher gegeben, um die Wahrheiten
Christi zu erlernen, sondern die Apostel selbst und ihre Jünger
unterwiesen sie auf mündlichem Weg. Erst später erwuchs die
Notwendigkeit, einen Teil der Heiligen Tradition schriftlich
niederzulegen in den Heiligen Büchern des Neuen Testaments, doch der
größte Teil wurde weiterhin mündlich weitergeben in der Kirche, von den
Aposteln und ihren Jüngern, auf dem Weg der apostolischen Nachfolge.
Die
Wichtigkeit und Bedeutung der Heiligen Tradition, sowohl der
schriftlich niedergelegten als auch der mündlichen, ist stets ein und
dieselbe geblieben. Die eine in der anderen und die eine zusammen mit
der anderen bilden die Vollständigkeit der göttlichen Heilswahrheiten.
Hiervon haben wir ein gottweises Zeugnis vom heiligen Irenäos, der
schreibt: "Gesetzt der Fall, die Apostel hätten uns keine Schriften
hinterlassen, müßten wir dann nicht der Ordnung der Tradition folgen,
die sie denjenigen überlieferten, denen sie auch diese Kirchen
anvertrauten? Dieser Ordnung folgen viele Barbarenvölker, die an
Christus glauben. Bei ihnen ist das Heil ohne Papier und Tinte vom
Heiligen Geist in ihr Herz geschrieben, und sie bewahren mit großer
Sorgfalt die alte Tradition.... Jene die ohne Schriften diesen Glauben
angenommen haben, sind zwar Barbaren, was ihre Sprache anbelangt, doch
was ihr Denken, ihre Bräuche, ihre Lebensweise betrifft, sind sie dank
ihrem Glauben höchst weise und Gott wohlgefällig, leben sie doch in
aller Gerechtigkeit, Reinheit und Weisheit. Sollte es geschehen, dass
ihnen einer die Erfindungen der Häretiker verkündet, indem er in ihrer
eigenen Sprache zu ihnen spricht, würden sie sich sogleich die Ohren
verstopfen und weit weg fliehen, ohne diese blasphemischen Reden auch
nur anhören zu wollen. So verwerfen sie denn dank der überlieferten
Tradition der Apostel sogar noch den Gedanken an irgendeine der
lügnerischen Erfindungen der Häretiker." [45]
Aus
diesem Grund bewahrt die Katholische Kirche Christi[46] mit nicht
nachlassender Beflissenheit sowohl die Heilige Schrift als auch die
Heilige Tradition in ihrer apostolischen Vollständigkeit, in der
Reinheit und Unantastbarkeit der Offenbarung Gottes. "Deshalb soll
niemand bei anderen die Wahrheit suchen, die mit Leichtigkeit in der
Kirche empfangen wird, denn die Apostel haben in ihr wie in einer
Schatzkammer auf die umfassendste Art alles gesammelt, was sich auf die
Wahrheit bezieht, damit hier jedwelcher, der es wünscht, den Trunk des
Lebens schöpfen kann. Denn sie ist wahrhaftig der Zugang zum Leben. Alle
anderen sind Diebe und Räuber (Joh 10,8). Deshalb muß man
solche meiden, jedoch mit äußerster Hingabe lieben, was zur Kirche
gehört, und festhalten an der Überlieferung der Wahrheit [veritatis traditionem]...
, worin alle Gaben des Herrn gesammelt sind. Hier soll man die Wahrheit
erlernen, das heißt bei denen, wo die Nachfolge der Kirche der Apostel
ist, wo eine gesunde und untadelige Lehre herrscht, ein Wort ohne
Verzerrung oder Abänderung. Sie sind es, die unseren Glauben
bewahren.... und uns die Schriften darlegen, ohne dass wir fürchten
müssen, getäuscht zu werden."[47]
Und
der heilige Epiphanios schreibt: "Es ist unerläßlich, sich an die
Tradition zu halten, denn es ist unmöglich, alles in der Heiligen
Schrift zu finden. Die heiligen Apostel haben das eine in der Heiligen
Schrift hinterlassen, das andere in der Heiligen Tradition, wie es
Paulus selbst bestätigt: Haltet fest an den Traditionen, so wie ich sie euch überliefert habe (1 Kor 11,2)."[48]
Die
Heilige Schrift und die Heilige Tradition, die zusammen die eine und
unteilbare göttliche Wahrheit vermitteln, erfüllen, erklären und stützen
sich gegenseitig und setzen sich gegenseitig voraus. Um ein richtiges
Verständnis der Heiligen Schrift zu erlangen, ist es unerläßlich, die
Heilige Tradition zum Führer zu haben. Der heilige Irenäos sagt mit
aller Entschiedenheit: "Diejenigen, welche die Tradition mißachten, sind
unfähig, die Wahrheit zu finden in der Heiligen Schrift."[49] Klemens
von Alexandria schreibt: "Diejenigen, die die Heilige Schrift in
Widerspruch zur Tradition der Kirche interpretieren, haben den Maßstab
der Wahrheit verloren."[50] Und der heilige Kyprian sagt: "Sobald wir
uns hinwenden zur Quelle, zur göttlichen Tradition, hört das menschliche
Irren sogleich auf." [51]
Der
hl. Basilios der Große lehrt: "Von den Dogmen und Lehren, die in der
Kirche bewahrt werden, haben wir die einen aus der schriftlichen
Unterweisung [ἐκ τῆς ἐγγράφου διδασκαλίας], empfangen, während wir die
anderen, die aus der Überlieferung der Apostel [ἐκ τῆς τῶν Ἀποστόλων
παραδόσεως] auf uns gekommen sind, im Mysterium [ἐν μυστηρίῳ] empfangen
haben. Die einen wie anderen haben dieselbe Gültigkeit [τὴν αὐτὴν ἰσχύν]
für den rechten Glauben, und letzteren wird keiner widersprechen, der
einigermaßen vertraut ist mit den Regeln der Kirche. Denn wenn wir
anfangen, die nichtgeschriebenen Überlieferungen als von geringer
Bedeutung beiseite zu schieben, werden wir, ohne es zu merken, auch das
Evangelium abändern in wichtigen Dingen und, noch schlimmer, die Lehren
der Apostel ihres Inhalts entleeren."[52]
Der
heilige Johannes von Damaskus weist hin auf die unaussprechlich
göttliche Bedeutung der Heiligen Tradition und mahnt: "Überschreiten wir
nicht ewigen Grenzen [ὅρια αἰώνια], die unsere Väter festgesetzt haben,
sondern bewahren wir die Traditionen [τὰς παραδόσεις] so, wie wir sie
empfangen haben. Denn wenn wir anfangen, den Bau der Kirche [τὴν
οικοδομὴν τῆς Ἐκκλησίας] auch nur in den geringsten Dingen zu
zerbröckeln, wird er am Ende vollends zusammenbrechen."[53] Und: "Laßt
uns beten, Volk Gottes, heiliges Volk, damit man sich unverrückt an die
kirchlichen Überlieferungen halte [τῶν ἐκκλησιαστικῶν παραδόσεων], denn
wenn man die kleinsten Dinge der Tradition herauslöst wie die Steine aus
einem Bauwerk, wird man bald den ganzen Bau zerstören."[54]
In
seinem 19. Kanon hat das 6. Oekumenische Konzil ein für allemal die
apostolische Lehre der Katholischen Kirche Christi über die Auslegung
der Heiligen Schrift durch die Heilige Tradition bekräftigt: "Die
Vorsteher der Kirchen sollen jeden Tag und vor allem am Tag des Herrn
den ganzen Klerus und das Volk belehren durch Worte wahren Glaubens,
indem sie aus der Heiligen Schrift Betrachtungen und Darlegungen der
Wahrheit schöpfen, ohne hierbei hinauszugehen über die festgelegten
Grenzen oder abzuweichen von der Tradition der gotttragenden Väter."
Es
ist wohlbekannt, dass alle Oekumenischen Konzile, vom ersten bis zum
letzten, die Häresien verworfen und die göttlichen Dogmen des Glaubens
bekräftigt haben, nicht nur auf Grund der Heiligen Schrift, sondern auch
auf Grund der Heiligen Tradition.[55] Der heilige Kyrillos von
Jerusalem sagt, wenn die Kirche "katholisch" [καθολική] genannt werde,
so deshalb weil sie sich über die ganze Welt erstreckt und überall ohne
irgendeine Schmälerung alle Dogmen lehrt, die die Menschen kennen
müssen.[56]
Das
Obgesagte zeigt deutlich, aus welchem Grund die Kirche Christi das
Anathema verhängt über jene, die die Heilige Tradition und die Heiligen
Oekumenischen Konzile ablehnen: "Über diejenigen, welche die Heilige
Überlieferung und die Heiligen Oekumenischen Konzile ablehnen, obwohl
sie die göttliche Offenbarung beibehalten und die Orthodoxe Katholische
Kirche bejahen, Anathema!"[57] Und: "Über diejenigen, welche die
Konzile der Heiligen Väter und ihre Traditionen ablehnen, obwohl sie die
göttliche Offenbarung bewahren und die Katholische Orthodoxe in
Frömmigkeit bejahen, Anathema!"[58]
5. Dogmen und menschliche Vernunft
Das
Verhältnis zwischen Dogmen und menschlicher Vernunft ist bestimmt durch
ihre respektiven Eigenschaften. Während die Dogmen von Natur aus
göttliche Wahrheiten sind, gekennzeichnet durch die göttlichen
Eigenschaften der Ewigkeit, der Unbegrenztheit und der Unwandelbarkeit,
ist die menschliche Vernunft von Natur aus geschaffen und gekennzeichnet
durch die menschlichen Eigenschaften der Relativität, der Endlichkeit
und der Wechselhaftigkeit. Auf Grund ihres empirischen Charakter ist die
menschliche Vernunft zudem in die Sünde abgesunken, und ihre ganze
Tätigkeit hat sich in der Kategorie der Sünde vollzogen.
Von
welcher Seite man die Dogmen auch betrachtet, sie erweisen sich stets
als göttliche Wahrheiten, die in jeder Hinsicht hinausgehen über die
menschliche Vernunft und sie übertreffen. Es gibt keine dogmatische
Wahrheit, die Raum fände im Kokon der sündigen menschlichen Vernunft,
und es gibt kein Dogma, das man zur Gänze logisch erfassen, logisch
beweisen, logisch rechtfertigen könnte. Welches der von Gott offenbarten
Dogmen man der menschlichen Vernunft auch vorlegt - die Dreiheit, die
Inkarnation, die Taufe, die Auferstehung, das ewige Leben, die
allheilige Gottesmutter, die göttliche Gnade, die Sünde der Urahnen, das
Endgericht oder irgendein anderes -, sie ist unfähig, einzudringen in
die mysteriöse Natur irgendeines von ihnen.
Da
Gott uns Menschen eine Gnade gewährt hat, die die menschliche
Vorstellung übersteigt, verlangt Er von uns mit vollem Recht den
Glauben, wie der heilige Johannes Chrysostomos sagt:
"Unsere
erhabenen Dogmen, wie fern sind sie allen menschlichen Gedankengängen
[ἑρημα λογισμῶν]! Dem Glauben nur sind sie zugänglich [πίστεως ἐχεται
μόνης]. Zum Beispiel: Gott ist überall und nirgends. Gibt es etwas
Unvorstellbareres für die Vernunft? Und in beidem ist vieles, was sich
nicht erhellen läßt. Gott schließt Sich nicht ein an einem Ort, und in
Ihm Selbst ist kein Ort. Er ist nicht geworden, noch auch hat Er Sich
Selbst erschaffen. Es gibt keinen Anfang Seines Seins. Welches
menschliche Denken könnte dies anerkennen ohne den Glauben? Würde es
nicht lächerlich erscheinen? Und Gottes Unendlichkeit, ist sie nicht das
schwierigste aller Rätsel?
"Gott
ist ohne Anfang, ungeschaffen, unumschrieben, unendlich - auch dies ist
freilich unfaß-bar für unser Denken. Oder möchten wir durch das Denken
die Unkörperlichkeit Gottes untersu-chen? Sehen wir näher hin. Gott ist
unkörperlich. Doch was heißt 'unkörperlich'? Es ist nur ein Wort. Das
Denken zieht nichts aus diesem Wort, kann sich darunter nichts
vorstellen. Um sich darunter etwas vorstellen zu können, müßte es
zurückgreifen auf die Materie, auf das, woraus ein Körper besteht! Das
heißt, wenn der Mund vom Unkörperlichen redet, weiß der Verstand nicht,
wovon er redet [οὐκ οἷδε δὲ ἡ διάνοια τί λέγει], oder er versteht nur,
dass das Unkörperliche das ist, was ohne Körper ist...
"Etwas
anderes: Gottes Natur ist unzugänglich für das Böse. Doch man kann gut
sein nur durch freien Willen. Folglich ist sie doch zugänglich für das
Böse. Doch solches können wir nicht sagen - Gott bewahre! Oder eine
andere Frage. Besitzt Gott das Sein kraft Seines Wollens [θέλων] oder
ohne es zu wollen [μή θέλων]? Auch dies können wir nicht beantworten.
Ferner: Umgrenzt Gott das Universum oder nicht? Umgrenzt Er es nicht,
dann ist es das Universum, das Ihn umgrenzt. Umgrenzt Er es aber, ist Er
unendlich in Seiner Natur. Weiter: Umgrenzt Er Sich Selbst? Wenn ja,
dann ist Er nicht ohne Anfang im Verhältnis zu Sich Selbst, sondern nur
im Verhältnis zu uns und somit nicht von Natur aus anfanglos.
"So
kommen wir überall zu widersprüchlichen Schlußfolgerungen. Welche
Finsternis! Wie nötig ist der Glaube in allem! Er allein ist stark."[59]
Die
menschliche Vernunft ist machtlos vor jedwelchem göttlichen Dogma, und
wenn sie aufrichtig ist, muß sie ihre Schwäche anerkennen: "Ich verstehe
nicht." Lehnt sie sich auf gegen die Mysterien und Rätsel der Dogmen,
gelten sie ihr als Unsinn, Torheit oder Verblendung (s, 1 Kor 1,18-23).
Unfähig zum Erfassen und Verstehen der dogmatischen Wahrheiten, bezeugt
die menschliche Vernunft hiermit, dass sie unfähig ist, ihr Interpret zu
sein, geschweige denn ihr Schöpfer. Da die menschliche Vernunft
begrenzt, relativ, wechselhaft und sündig ist, vermag sie unbegrenzte,
absolute, unwandelbare und sündelose Wahrheiten weder zu schaffen noch
zu begreifen, denn diese übersteigen ihre Kategorie von Verstehen und
bleiben ihr immerdar überlegen. Sie gehen in jeder Hinsicht hinaus über
ihre Kräfte und Fähigkeiten.
Die
dogmatischen Wahrheiten sind ihrem Wesen nach verborgen in den
unerforschlichen Tiefen der göttlichen Weisheit und abgeschirmt durch
den Vorhang der göttlichen Mysterien. Sie wesen im unzugänglichen Licht
der Dreisonnigen Gottheit. Die menschliche Vernunft vermöchte den
überhellen Glanz des göttlichen Mysteriums nicht zu ertragen. Geradeso
wie ein Mensch nicht nur geblendet, sondern vernichtet würde, wenn er
sich den Sonneneruptionen nähern würde, so auch würde die menschliche
Vernunft vernichtet, wenn sie ohne Bedeckung vordringen könnte in die
überhimmlischen Höhen der Dreieinigen Gottheit, wo unzählige Sonnen
ewiger Wahrheiten flammen. Um in ihrer Mitte wandeln zu können, muß die
menschliche Vernunft das Gewand des Glaubens tragen und unterwiesen sein
im Gebrauch aller Ausrüstungen durch das Werk der evangelischen
Tugenden.
Die
Beziehung zwischen den Dogmen als ewigen Wahrheiten Christi und der
menschlichen Vernunft wird bestimmt durch das, was der Herr Jesus Selbst
festgelegt hat in Seiner Beziehung zur menschlichen Vernunft in ihrer
sündigen Wirklichkeit. Und was verlangt der Herr von jedem Menschen als
Vorbedingung dafür, dass er Ihm nachfolgen kann? Eines nur, eine einzige
Sache -dass er sich selbst verleugnet und sein Kreuz auf sich nimmt. "Wer Mir nachfolgen will, verleugne sich selbst [ἀπαρνησάσθω ἑαυτόν], nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach" (Mt 16,24; s. auch Mk 8,34; Lk 14,26-27; Joh 12,24-26).
Sich
selbst verleugnen bedeutet, seine sündige Person in ihrer ganzen
psychosomatischen Wirklichkeit zu verleugnen - seine anthropozentrische
und egoistische Seele, seinen anthropo-zentrischen und egoistischen
Willen, seine anthropozentrische und egoistische Vernunft, sein
anthropozentrisches und egoistisches Ich, seine anthropozentrische und
egoistische Lebens- und Denkweise. Dies kann dem Menschen nur gelingen,
wenn er, durch das hohe Werk des Glaubens an Christus, sich selbst der
Sünde kreuzigt und allem, was sündig ist in ihm und um ihn, wenn er der
Sünde stirbt und dem Tod, um belebt zu werden vom Herrn Christus zu
einem Leben ohne Sünde und ohne Tod (s. Kol 3,3-8; Röm 6,6; 6,10-13; Gal
2,19; 6,14).
Die
menschliche Vernunft im besonderen verleugnet sich selbst, wenn sie
durch das hohe Werk des Glaubens aufhört, sich selbst als ein Wesen an
sich zu betrachten, das Wahrheit schafft, Maßstab der Wahrheit ist und
Führer zur Wahrheit, und sich stattdessen dem Herrn Christus übergibt,
damit Er Selbst der Schöpfer der Wahrheit, der Maßstab der Wahrheit und
der Führer zur Wahrheit sei.
Der
Mensch wird das ewige Leben nur dann erlangen, wenn er, durch dieses
hohe Werk der Selbstverleugnung kraft des Glaubens, um Christi willen
seine Seele verliert, anders gesagt: sie Christus übergibt, denn in Ihm
wird er sie auch wiederfinden - neu gemacht, erfüllt von der Gnade,
unsterblich und ewig. Dies ist, was die Worte des Herrn bedeuten: "Wenn einer seine Seele verliert um Meinetwillen, wird er sie wiederfinden [εὑρήσει αὐτήν]" (Mt 16,25) und "sie retten [σώσει αὐτήν]" (Mk 8,35; Lk 9,24; s. auch 17,33) und "sie bewahren zum ewigen Leben" [εἰς ζωήν αἰώνιον φυλάξει αὐτήν] (Joh 12,25).
Wenn
der Mensch um des Herrn Christus willen sich selbst verleugnet - seine
sündige Seele, seine sündige Vernunft, sein sündiges Ich - und sich Ihm
übergibt und überläßt, stirbt er um Christi willen. Er sät den Samen
seiner Person in den Herrn Christus. Danach geschieht in den göttlichen
Tiefen der Gnade Christi Folgendes: der Same zersetzt sich, verliert
seine feste Form, bricht auf, die menschliche Person wird befreit von
Sünde und Sterblichkeit, kommt heraus aus ihrer egoistischen
Absonderung und Isolation, stirbt allem Vergänglichen und Sündigen, und
dann kommt der Herr, Der die Menschen liebt, und macht sie lebendig
durch Seine Unsterblichkeit, macht sie ewig durch Seine Ewigkeit,
erfüllt sie mit Seiner Wahrheit und macht sie fähig, göttliche Früchte
zu erbringen in Fülle.
Das ist es, was jene Worte des Herrn bedeuten: "Wahrlich,
wahrlich Ich sage euch, wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und
stirbt, wird es allein bleiben, doch wenn es stirbt, wird es viele
Frucht bringen. Wer seine Seele liebt, wird sie verlieren, doch wer in
dieser Welt seine eigene Seele haßt, wird sie bewahren zum ewigen Leben"
(Joh 12,24-25).
Mit
anderen Worten, wenn der Mensch seine sündige Seele nicht haßt, wenn er
sie nicht verleugnet in ihrer sündigen Wirklichkeit durch das hohe Werk
der Selbstverleugnung kraft des Glaubens und sie nicht dem Herrn
Christus übergibt, wird er alleine bleiben. Er wird in seiner Einsamkeit
bleiben, ohne Hilfe in seiner Sünde und seiner Sterblichkeit, steril,
ohne Frucht in seinem Denken, seiner Vernunft, seinem Wollen und
seinem ganzen Tun. Doch wenn er durch das hohe Werk des Glaubens – ein
Werk, das höher ist als die Vernunft – seiner Sünde stirbt, seinem
Egoismus, seiner sündigen Vernunft, wenn er sein ganzes Leben in die
Hände des Herrn Jesus Christus legt, wird er reiche Frucht bringen. Dann
wird er sich selbst, seine Seele, seine Vernunft bewahren für das ewige
Leben. Er wird wachsen und zunehmen um ein Vielfältiges, um die
unendliche Vielfalt der Vollkommenheiten Christi, und die Fülle des
Lebens erlangen. Dies ist das Entgelt für die Selbstverleugnung kraft
des evangelischen Glaubens.
Der
Apostel Paulus erfuhr an sich selbst die ganze Tragik und die ganze
Sinnlosigkeit des Menschen und der Welt ohne Christus. Durch das hohe
Werk des Glaubens – das höher ist als die Vernunft – erkannte er die
ganze Tiefe und Breite und Höhe der Liebe Christi (s. Eph 3,18-19). Und
von da an erachtete er alles andere als Schaden und Unrat im Vergleich
zu jener ungleich wichtigeren Erkenntnis Jesu Christi, Seines Herrn, um
Dessentwillen er alles verließ (s. Phil 3,7-8). Deshalb lehrt der
Apostel, dass es Pflicht der Christen ist, jeden Gedanken einzufangen zum Gehorsam gegenüber Christus [αἰχμαλωτήζοντες πᾶν νόημα εἰς ὑπακοὴν τοῦ Χριστοῦ] (2 Kor 10,5).
Indem der Mensch sich dem Herrn Christus übergibt und durch Ihn und in Ihm lebt, wird er eines Leibes mit Christus (s. Eph 3,6), seine Seele wird ewig, und er erlangt den Geist Christi, wie der große Apostel kühn sagt: Wir haben den Geist Christi [ἡμεῖς
νοῦν Χριστοῦ ἔχομεν] (1 Kor 2,16). Das heißt, der Geist der Christen
vereint sich, im gottmenschlichen Leib Christi, der Kirche, mit dem
Geist Christi auf eine unbeschreibliche mysteriöse Art, durch eine
effektive Gnadengabe. Und so wird er fähig, die göttlichen Wahrheiten
Christi zu erkennen.
Diese
gesegnete Erkenntnis der ewigen göttlichen Wahrheiten, inkarniert und
offenbart in der gottmenschlichen Person des Herrn Jesus, ist das
natürliche Ergebnis des hohen Werks des Lebens in der Kirche Christi. Wir haben geglaubt und erkannt [ἡμεῖς πεπιστεύκαμεν καὶ ἐγνώκαμεν], dass Du Christus bist, der Sohn des Lebendiges Gottes (Joh
6,69; s. auch Eph 4,13; 1,17), sagen die Apostel zum Herrn Christus,
und damit klären sie auf immer das Verhältnis zwischen Glauben und
Erkenntnis, erweisen den Glauben des Neuen Bundes als Mittel zur
Erkenntnis der ewigen Wahrheiten, die uns durch den Herrn Christus
offenbart worden sind.
Beim
nicht weniger wunderbaren Vorgang der gesegneten Vertiefung der
Erkenntnis der ewigen Wahrheiten Christi überläßt sich der befriedete
Mensch apostolischen Glaubens freiwillig der Führung der Kirche und
ihres heiligen, katholischen, apostolischen und unfehlbaren Verstands.
Transfiguriert durch den Glauben an Christus, begreift, sieht und
anerkennt dieser Mensch, dass das katholische und gottmenschliche
Bewußtsein der Kirche für ihn der einzige unfehlbare Führer ist durch
die unergründlich tiefen und unzugänglich hohen Wahrheiten Christi. Und
je mehr tiefer er kraft der Gnade Gottes und seiner eigenen
evangelischen Werke eintaucht in die unbeschreibliche Vielfalt des in
der Kirche gesammelten Reichtums der Weisheit Christi (s. Eph 3,11),
desto deutlicher muß er das unzugängliche Mysterium ihres Wesens
anerkennen. Deshalb bekennt er demütig mit dem Apostel: Jetzt sehen wir vermittels eines Spiegels, im Rätsel [δι' ἐσόπτρου, ἑν αἰνίγματι] (1 Kor 13,12).
Solcherart
mithin ist die Natur der göttlichen dogmatischen Wahrheiten, und wie
tief der Mensch mit der Gnade Gottes auch eingedrungen sein mag in sie,
er ist außerstand, sie in ihrer ganzen Tiefe zu ergründen und zu
erkennen, bleibt er doch immerdar innerhalb der Grenzen seiner
menschlichen Natur, in den Kategorien des Menschlichen, und diese
Wahrheiten, in ihrer göttlichen Unendlichkeit, Ewigkeit und
Unerforschlichkeit, sind erhoben über alle Grenzen. Deshalb ruft der
Mensch Christi, im gesegneten Bewußtsein seiner himmlischen Freude, mit
dem Apostel zusammen aus: O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und
der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind Seine Ratschlüsse und wie
unerforschlich Seine Wege! (Röm 11,33)....
Die
ewigen dogmatischen Wahrheiten sind Gegenstand des Glaubens, und der
Glaube ist ein Werk, das die ganze menschliche Person einbezieht, mithin
auch die Vernunft. Glaube ist echt in dem Masse, wie er die ewigen
Wahrheiten des Evangeliums zum Leben des Glaubenden macht. Alle
evangelischen Tugenden, angefangen mit jener des Glaubens, bilden
zusammen das himmlische Brot des ewigen Lebens. Indem sich der Mensch
davon ernährt, wird er unendlich, ewig, heilig, unsterblich und
gesegnet. Er wird vollkommen bis zum vollen Maß des Gottesbildes, das in
ihm ist. Und erst jetzt empfängt die Vernunft selbst, die ein
organischer Teil der menschlichen Person ist, ihre wirkliche Tiefe,
Breite und Höhe.
Bei
diesem Vorgang der Vervollkommnung durch die gesegneten evangelischen
Werke werden die Dogmen als ewige göttliche Wahrheiten zur Norm und zum
Leitsatz des gesamten Lebens des Menschen, seines ganzen Denkens und
seiner ganzen Tätigkeit. Das gesegnete Leben des Menschen innerhalb der
Kirche wird so zur Quelle der Erkenntnis der ewigen dogmatischen
Wahrheiten. Indem der Mensch diese Wahrheiten als Substanz seines Lebens
lebt, erweist er ihre Authentizität, Unerläßlichkeit und
Heilwirksamkeit für die menschliche Person im allgemeinen.
Der kategorische Imperativ des Evangeliums ist: "Tu es, um zu erkennen." Dies ist der Sinn der Worte des Herrn: "Will einer Seinen Willen tun, wird er erkennen, ob diese Lehre aus Gott ist"
(Joh 7,17). Alles, was Christi ist, ist wirklich und inkarniert, denn
im Herrn Christus gibt es nichts Abstraktes, nichts Irreales. Seine
Einzigkeit besteht eben darin, dass Er der fleischgewordene Gott ist und
dass in Ihm alle göttlichen Wahrheiten inkarniert sind. Deshalb sind
sie alle wirksam und real gegenwärtig geworden in der Sphäre des
menschlichen Lebens, innerhalb der Grenzen von Zeit und Raum. Zeugnis
hiefür sind das ganze Neue Testament und die ganze Geschichte der Kirche
Christi.
Indem
der Mensch Christi durch die gesegneten Werke der Askese die ewigen
dogmatischen Wahrheiten zu seinem eigenen Leben macht, gelangt er nach
und nach zur Erkenntnis dieser Wahrheiten, doch stets unter der Führung
des heiligen konziliaren Verstands der Katholischen Orthodoxen Kirche.
Es ist völlig natürlich, dass die Erkenntnis aus dem Glauben erwächst
und dass der Glaube als Lebens- und Denkprinzip nach und nach von
Erkenntnis zu Erkenntnis erhebt. Doch je mehr der Asket fortschreitet im
gesegneten Verständnis der dogmatischen Wahrheiten, desto mehr erhärtet
sich in ihm durch den Glauben die Überzeugung, dass die Offenbarung in
der Tat Offenbarung ist und nicht ein selbstgefundenes Wissen.
Dieses
Verhältnis zwischen Dogmen und menschlicher Vernunft, zwischen Glauben
und Erkenntnis, wird voll bestätigt durch die Lehre der Heiligen Väter
und Lehrer unserer Kirche. So schreibt der heilige Kyrillos von
Alexandria: "Es ist notwendig, zu glauben, um verstehen zu können. Dass
die göttlichen Wahrheiten durch den Glauben erlangt werden, bedeutet
nicht, dass man ihre Untersuchung verbieten soll, doch bevor sich einer
an eine solche Untersuchung macht, muß er sich zumindest bis zu dem
erhoben haben, was nicht völlig klar ist im Verständnis dieser
Wahrheiten und in bezug auf welches der Apostel sagt: Wir sehen vermittels eines Spiegels, im Rätsel
(1 Kor 13,12). Deshalb hat er Recht, wenn er erklärt, man solle nicht
zuerst erkennen und dann glauben wollen, sondern den Glauben an die
erste Stelle setzen, die Erkenntnis aber an die zweite. Denn die
Erkenntnis folgt auf den Glauben, sie geht diesem nicht voraus, wie
geschrieben steht: Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht begreifen (Is
7,9). Der Glaube in seiner Einfachheit, frei von Neugier, ist mithin
gewissermaßen das Fundament, auf welchem danach die Erkenntnis aufgebaut
wird, die uns nach und nach hinführt zum vollkommenen Menschen, zum Vollmaß der Fülle Christi (Eph 4,13)." [60]
Der
selige Augustinus sieht das Verhältnis zwischen Glauben und Erkenntnis
ebenso: "Wir glauben, um zu erkennen und nicht umgekehrt." [61] Der hl.
Johannes Chrysostomos verkündet: "Durch den Glauben gelangt man zur
Erkenntnis Gottes, und ohne Glauben ist es unmöglich, Ihn zu erkennen."
[62] Nach Klemens von Alexandria ist der Glaube das Kriterium für die
Erkenntnis Gottes und der göttlichen Dogmen.[63] Auch für Tertullian
geht der Glaube dem Wissen voraus, denn er ist es, der "die Vernunft
hinführt zur Erkenntnis des Wahren."[64] In seiner Kampfschrift gegen
Eunomios unterstreicht der heilige Basilios der Große die Unmöglichkeit,
in der Heiligen Dreiheit eine Vielheit zu sehen, was für ihn ein Grund
ist, noch stärker an Sie zu glauben, und er hält dem Rationalismus des
Häretikers entgegen. "Wenn wir alles an unserem Denken messen und das,
was dem Verstand unzugänglich sei, für inexistent halten, dann ist der
Lohn für den Glauben abgeschafft, dann ist der Lohn für die Hoffnung
abgeschafft. Wie werden wir denn jener Seligkeiten würdig werden, die
uns verheißen sind für unseren Glauben an das, was wir nicht sehen, wenn
wir nur an das glauben, was offenkundig ist für den Verstand?" [65]
Wie
in Fortsetzung des Gedankens des heiligen Basilios schreibt der selige
Augustinus: "Der Wert des Glaubens besteht darin, dass er glaubt, ohne
zu sehen. Denn was ist schon groß daran, dass die Menschen glauben, was
sie sehen? Der Herr Selbst rügte deswegen den Jünger, da Er sagte: "Weil du Mich gesehen hast, hast du geglaubt? Selig diejenigen, die nicht sahen und glaubten" (Joh
20,29).[66] Der Glaube ist nicht Angelegenheit von logischen Beweisen.
Er beruht auf dem Vertrauen in den Herrn, die höchste Quelle aller
Glaubenswahrheiten (s. Röm 10,17). Alle Glaubenswahrheiten gehören ihrem
Wesen nach zum Bereich dessen, was man nicht sieht (s. Hebr 11,1; Röm
8,24; 2 Kor 4,18; 1 Petr 1,8).
Denjenigen,
die den Glauben der Beweisführung durch den Verstand unterwerfen
wollen, antwortet der heilige Johannes Kassian: "Du verlangst einen
Beweis für das, was Gott gesagt hat? Ich werde ihn dir nicht geben. Gott
hat es gesagt - Sein Wort ist für mich der höchste Beweis. Die anderen
Beweise lasse ich beiseite und vermeide Streitgespräche. Um zu glauben,
genügt mir, zu wissen, dass Er es ist, Der spricht. Der Glaube erlaubt
mir nicht, zu zweifeln an dem, was Er sagt, er ermächtigt mich nicht,
über Ihn zu richten. Ich kann untersuchen, in welcher Weise das, was
Gott sagt, wahr ist, doch an der Wahrheit dessen, was von Gott gesagt
ist, kann ich nicht zweifeln." [67]
Den
göttlichen Glaubenswahrheiten gegenüber muß sich die Vernunft mit
Ehrfurcht, Pietät und Achtung verhalten, weil Gott und alles, was Gottes
ist, die Kapazität unseres Verstands übersteigt.[68] Daraus ergibt sich
diese Grundregel für die Behandlung der ewigen dogmatischen Wahrheiten
durch den menschlichen Verstand: Nicht sinnen über das hinaus, was zu sinnen recht ist, sondern danach sinnen, Besonnenheit zu erlangen [φρονεῖν εἰς τὸ σωφρονεῖν], ein jeder im Maß des Glaubens, das Gott ihm zugeteilt hat (Röm 12,3; s. auch 1 Kor 4,6; Gal 6,3; Röm 14,23).
6. Die Kirche und die Dogmen
Im Herrn Christus sind uns ein für allemal alle göttlichen Kräfte zum Leben und zur Gottesfurcht (2
Petr 1,3) gegeben und alle göttlichen Heilswahrheiten offenbart, denn
beim Mystischen Abendmahl sagte der Erlöser zu Seinen Jüngern: "Alles was Ich gehört habe von Meinem Vater, habe Ich euch bekanntgemacht"
(Joh 15,15; s. auch Joh 1,18; Judas 3). Alles was der Herr Christus den
Menschen offenbart und übergeben hat, ist ewig, unwandelbar und
absolut, weil Er Selbst ewig, unwandelbar und absolut ist. Jesus Christus ist Derselbe gestern und heute und in Ewigkeit (Hebr 13,8; s. auch 1 Kor 3,11; Offb 1,4).
Seine
unaussprechliche Liebe zu den Menschen erreichte ihren Gipfel darin,
dass Er Sich selbst so, wie Er ist, mit Seiner Lehre so, wie sie ist, in
Seiner ganzen gottmenschlichen Fülle der Kirche mitgeteilt hat, als dem
Leib, dessen Haupt Er ist und in dem Er zu wohnen fortfährt (s. Eph
5,23; 4,1013; Kol 1,24; Mt 28,20). Deshalb verhängen Seine Apostel, die
der Kirche und von der Kirche her den ganzen göttlichen Willen
offenbaren (s. Apg 20,27; Eph 1,11), das Anathema über jeden, der das
Evangelium Christi und Seine ewigen und unwandelbaren Wahrheiten
verzerrt, wie gering auch immer. Wenn wir selbst oder ein Engel vom
Himmel her euch etwas anderes verkündet als was wir euch verkündet
haben, so sei er Anathema! (Gal 1,8).
Im
Bewußtsein dessen bewahrt die Kirche Christi mit seraphischer
Beständigkeit alle dogmatischen Wahrheiten der Offenbarung in ihrer
göttlichen Reinheit und Unwandelbarkeit. Von Gott eingesetzt als Hüter
und Interpret der göttlichen Offenbarung und geführt vom Heiligen Geist,
überliefert, interpretiert und formuliert die Kirche die Dogmen unter
der Führung des Heiligen Geistes so, wie Er sie sie lehrt. Sie tut dies
unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gläubigen, um die von Gott
offenbarten heiligen dogmatischen Wahrheiten zugänglich zu machen für
das menschliche Bewußtsein, sodass es sie annehmen kann. Hierbei führt
sie nichts Neues ein in die heiligen Wahrheiten der Dogmen. Sie drückt
sie lediglich auf eine neue Art aus, gibt ihnen ein anderes sprachliches
Gewand. In dieser Tätigkeit, die ihr obliegt, ist sie unfehlbar, denn
sie wirkt kraft des unfehlbaren Herrn Christus, im Heiligen Geist, Der
sie vor jedem Irrtum und jeder Illusion bewahrt (s. Joh 16,13; 14,26;
14,17).
Immerdar
besorgt um das Heil ihrer Glieder, steht die Kirche in einem stetigen
Kampf gegen die Häresien. Deshalb hat sie, herausgefordert durch die
Bedürfnisse der Zeit, bei der Formulierung der dogmatischen Wahrheiten
auch spezifische Begriffe geschaffen, die in der Heiligen Schrift nicht
vorkommen, wie zum Beispiel: wesenseins [ὁμοούσιος], Gottmensch
[Θεάνθρωπος], Inkarnation, Fleischwerdung [ἐνσάρκωσις], Menschwerdung
[ἐνανθρώπησις], Gottgebärerin, Gottesmutter [Θεοτόκος, Θεομήτωρ],
Ewigjungfräuliche [Ἀειπάρθενος] usw.
Um
die Gläubigen vor den Irrtümern und Täuschungsversuchen der Häretiker
zu schützen, hat die Kirche, insbesondere durch ihre Oekumenischen
Konzile, gewisse Dogmen besonders ausführlich definiert, erklärt und
kommentiert, wie zum Beispiel:
-
am 1. Oekumenischen Konzil (325) das Dogma der Wesenseinheit der Drei
Personen der Allheiligen Dreiheit und das Dogma der Göttlichkeit des
Sohns;
- am 2. Oekumenischen Konzil (381) das Dogma der Göttlichkeit des Heiligen Geistes:
- am 3. Oekumenischen Konzil (431) das Dogma der Inkarnation des Logos Gottes und das Dogma der Allheiligen Gottesmutter;
- am 4. Oekumenischen Konzil (451) das Dogma der Gottmenschlichkeit (der zwei Naturen) des Herrn Jesus Christus;
- am 5. und 6. Oekumenischen Konzil (553 und 680) das Dogma der zwei Willen und Energien des Herrn Jesus Christus;
- am 7. Oekumenischen Konzil (787) das Dogma der heiligen Ikonen;
- am lokalen 3. Konzil von Karthago (397) das Dogma der Ursünde und der Gnade;
- am lokalen Konzil von Laodikäa (364) das Dogma des Mysteriums der Salbung usw.
Hierbei
hat die Kirche nichts Neues eingeführt in die Dogmen der göttlichen
Offenbarung, noch auch hat sie etwas verändert daran. Sie hat diese
Dogmen, die als von Gott Selbst offenbarte Wahrheiten und Lehren ihres
einen, katholischen und apostolischen Glaubens von Anfang an existierten
in ihr, lediglich auf neue Weise formuliert. Dies wird allein schon
dadurch dokumentiert, dass die Konzilsväter die Proklamation ihrer
Beschlüsse mit dem Ausruf zu begleiten pflegten: "Dies ist der Glaube
der Apostel! Dies ist der Glaube der Väter! Dies ist der Katholische
Glaube!" Das Bewußtsein der Kirche, dass die heiligen Dogmen absolut
wahr, unerläßlich und heilsnotwendig sind, ist von jeher fest und
lebendig gewesen, doch wenn sich dies in ihrem Gang durch die Geschichte
infolge verschiedener Umstände als notwendig erwies, formulierte sie
sie an ihren Konzilen mit neuer Schärfe und neuen Begriffen.
Die
Dogmen sind in der Kirche von jeher Dogmen gewesen. Sie waren es zur
Zeit der Oekumenischen Konzile geradeso, wie sie es vor denselben waren
und wie sie es seither geblieben sind. Dies ist der Kirche allezeit und
vollauf bewußt, doch in ihrem gottweisen Verständnis hat sie zuzeiten
einige von ihnen besonders hervorgehoben, entsprechend den Bedürfnissen
der Gläubigen. Die Kirche ist der lebendige gottmenschliche Leib der
ewigen dogmatischen Wahrheiten, und deshalb ist sie immerdar im Besitz
dieser von Gott offenbarten Wahrheiten, die ihr vom Herrn Christus
Selbst und Seinen heiligen Aposteln von Anfang an anvertraut worden
sind. Wenn sie die dogmatischen Wahrheiten ausspricht, kommen die Worte
von ihr, doch gesprochen im Namen Gottes und vor Gott, in Christus (s. 2
Kor 2,17; 5,20).
Die
Kirche denkt durch die Dogmen. Durch sie und mit ihrer Hilfe kennt sie
sich selbst und empfindet sich als das, was sie ist. Ohne die Dogmen
wäre sie undenkbar, geradeso wie die Dogmen ohne die Kirche undenkbar
wären. Im Bewußtsein ihrer selbst als lebendiger Leib der dogmatischen
Wahrheiten und kraft der Natur selbst dieses ihres Bewußtseins sowie
ihrer heiligen, katholischen und apostolischen Erfahrung, ist sie
gerufen, die ewigen Wahrheiten der Offenbarung zu erhellen und zu
formulieren, so wie es die Umstände ihres geschichtlichen Daseins
erfordern, und sie tut dies im Geist und gemäß dem Geist der göttlichen
Offenbarung, die sie besitzt und bewahrt.
Denn
der Dreieinige Herr Selbst hat den Menschen nicht von vornherein alle
Wahrheiten der Offenbarung kundgetan, sondern nach und nach hat Er sie
ihnen offenbart, entsprechend ihren Bedürfnissen und ihrer
Aufnahmefähigkeit. Dies bestätigt der Apostel, indem er sagt: Nachdem
Gott in vergangenen Zeiten oftmals und auf verschiedene Arten zu
unseren Vätern gesprochen hat durch die Propheten, hat Er in diesen
Tagen, die die letzten sind, zu uns gesprochen durch den Sohn (Hebr 1,1).
Warum
hat Gott so gehandelt? Auf diese Frage antwortet der heilige Basilios
der Große: „Der Spender unseres Heils führt uns zum vollen Licht der
Wahrheit, indem Er uns, wie in Finsternis gewachsene Augen, nach und
nach daran gewöhnt, denn Er schont unsere Schwachheit. In der Tiefe des
Reichtums Seiner Weisheit und gemäß den unerforschlichen Ratschlüssen
Seines Wissens hat Er für uns diesen leichten und gangbaren Weg gewählt,
indem Er uns zunächst daran gewöhnt, die Schatten der Körper
wahrzunehmen und den Widerschein der Sonne im Wasser, damit wir nicht
durch den direkten Blick ins volle Licht geblendet würden. Desgleichen
sind auch das Gesetz, das den Schatten der kommenden Dinge enthält (Hebr
10,1), und die durch die Propheten gegebenen Figuren, die die Wahrheit
im Rätsel künden, als Übung gedacht zur Ertüchtigung der Augen des
bbbbb
Herzens, damit uns der Übergang von denselben zu der im Mysterium verborgenen Weisheit (1 Kor 2,7) mühelos gelinge." [69]
Und
der heilige Gregor der Theologe schreibt: „Im Zeitenlauf sind zwei
große Umwälzungen [μεταθέσεις ] erfolgt im Leben der Menschen – jene,
die man die beiden Bündnisse (Testamente) nennt oder auch, nach dem
wohlbekannten Zeugnis der Heiligen Schrift, Erdbeben [σεισμοὶ
γῆς] (Hag 2,7). Die erste dieser Umwälzungen führte vom Götzenkult zum
Gesetz, die zweite vom Gesetz zum Evangelium.... Doch in beiden Fällen
geschah etwas Identisches. Und was war das? Das Neue wurde nicht auf
einen Schlag eingeführt. Und warum nicht? Damit wir Menschen es nicht
auf Zwang hin annehmen möchten, sondern durch Überzeugung [μὴ βιασθῶμεν,
ἀλλὰ πεισθῶμεν]. Denn was nicht aus freiem Willen geschieht, hat keinen
Bestand, wie jener erkennen muß, der das Strömen des Wassers oder den
Pflanzenwuchs mit Gewalt aufhalten möchte. Was freiwillig geschieht, ist
dauerhafter und sicherer. Was erzwungen wird, gehört dem, der Gewalt
angewandt hat. Doch was wir freiwillig tun, gehört uns selbst. Das eine
ist der Duldsamkeit Gottes zugehörig, das andere der tyrannischen Macht.
„Das
Alte Testament verkündete mit aller Deutlichkeit den Vater und weniger
deutlich den Sohn. Das Neue Testament hat den Sohn offenbart und die
Göttlichkeit des Heiligen Geist angedeutet. Jetzt wohnt der Heilige
Geist in uns und gewährt uns eine deutlichere Kundgebung Seiner Selbst.
Denn es war nicht ohne Gefahr, den Sohn deutlich anzukünden, bevor die
Menschen die Göttlichkeit des Vaters anerkannt hatten, und ihnen die
Göttlichkeit des Heiligen Geistes aufzubürden – ich sage es überspitzt
-, bevor sie die Göttlichkeit des Sohnes anerkannt hatten. Denn solches
hätte unsere Kräfte überschritten und eine Überlastung hervorgerufen,
wie es denen geschieht, die zuviel essen, oder denen, die, obwohl sie
schwache Augen haben, in die Sonne blicken. Daher war es nötig, dass das
Licht der Allheiligen Dreiheit unsere Erleuchtung durch allmähliche
Steigerungen wirkte [ταῖς κατὰ μέρος προσθήκαις], oder, wie David sagt,
durch Aufstiege [ἀναβάσεσι] (Ps 83,6), durch Voranschreiten und
Fortschreiten von Herrlichkeit zu Herrlichkeit (2 Kor 3,18)."[70]
Diese
allmähliche Steigerung in der Offenbarung der göttlichen Wahrheiten
zeigt sich auch in der Verkündigung des Herrn Christus Selbst, spricht
Er doch zuerst in Gleichnissen und Bildern, dann in verhüllten
Anspielungen und Allegorien und schließlich offen und klar. Die heiligen
Apostel folgten Ihm in diesem Vorgehen, und die Orthodoxe Kirche
ihrerseits tut dasselbe, wenn sie die göttlichen Wahrheiten der
Offenbarung den Zeiten entsprechend formuliert und erklärt. Und wenn es
sich als notwendig erweist, gewisse dogmatische Wahrheiten der
göttlichen Offenbarung in unantastbare Formulierungen zu gewanden, dann
tut sie auch das. So geschah es im Fall des Glaubensbekenntnisses von Nikäa-Konstantinopel.
Die Kirche hat dieses Bekenntnis festgesetzt als Glaubensregel für alle
Zeiten und damit kundgetan, dass jede Veränderung desselben unzulässig
ist, nicht nur was den Inhalt betrifft, sondern auch was die Form
angeht, das heißt den genauen Wortlaut.[71]
In
der ganzen Vielfältigkeit ihres dogmatischen Wirkens lehrt und bekennt
die Kirche eine einzige und selbe Offenbarung, eine einzige und selbe
dogmatische Wahrheit. Ihr dogmatisches Wirken kann und darf daher
keinesfalls als eine die Substanz betreffende Umgestaltung, eine
„Weiterentwicklung" der Dogmen betrachtet werden. Wie der heilige
Irenäos schreibt: „So wie die Sonne, diese Kreatur Gottes, eine einzige
und selbe ist in der ganzen Welt, so auch leuchtet dieses Licht der
Verkündigung der Wahrheit überall und erleuchtet alle Menschen, die zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen
(1 Tim 2,4) wollen. Und weder kann selbst der Wortgewaltigste unter den
Kirchenführern etwas anderes sagen – denn keiner steht über dem Meister
–, noch auch kann der an Worten Ärmste diese Überlieferung schwächen,
denn da der Glaube ein einziger und selber ist, hat weder der
Redegewandte und Wortreiche mehr, noch der Wortkarge weniger. Dass einer
mehr weiß als andere, beweist er nicht dadurch, dass er die Lehre
verändert oder fälschlich einen anderen Gott erfindet... oder einen
anderen Christus oder einen anderen Einziggeborenen Sohn, sondern in
diesem zeigt es sich – dass er imstand ist, den genauen Sinn der
Gleichnisse offenbar zu machen und ihre Übereinstimmung mit der Lehre
der Wahrheit aufzuzeigen und die Art und Weise darzulegen, wie der
Heilsplan Gottes zum Wohl der Menschheit verwirklicht worden ist."[72]
In
dieser Hinsicht ist der Gedanke des heiligen Vinzenz von Lérins von
besonderer Wichtigkeit. Bezugnehmend auf das Wort des Apostels Paulus: Behüte das dir anvertraute Gut (1
Tim 6,20), schreibt er: „Bewahre das anvertraute Gut, sagt der Apostel,
doch was ist das anvertraute Gut? Es ist das, was man dir anvertraut
hat, und nicht das, was du du dir selbst ausgedacht hast. Was du
empfangen hast, und nicht was du selbst erfunden hast. Es ist nicht eine
Angelegenheit von Klugheit, sondern des Belehrtwerdens. Es ist nicht
Privateigentum, sondern Überlieferung an alle Völker. Ein Werk, das zu
dir gekommen ist, und nicht eins, das entdeckt worden ist von dir. Du
bist nicht sein Erfinder, sondern sein Bewahrer, du bist nicht der
Lehrer, sondern der Schüler, nicht der Führer, sondern der Geführte. Bewahre das anvertraute Gut, sagt
der Apostel, das heißt: bewahre zur Gänze und ohne Veränderung das
Talent des universellen Glaubens. Was dir anvertraut worden ist, was in
dir wohnt, das gib auch du weiter. Du hast Gold empfangen, gib Gold
weiter. Ich will nicht, dass du es mir in etwas anderes umwechselst. Ich
will nicht, dass du mir anstelle des Goldes insgeheim Blei oder Kupfer
untermogelst. Ich will nicht den Anschein von Gold. Gib mir echtes
Gold. ...
„Lehre
das, was man dich gelehrt hat. Und redest du auf neue Art, so sei
das, was du sagst, nicht eine Neuerung... Kann es also in der Kirche
Christi keinerlei Fortschritt geben? Ganz im Gegenteil, solchen
Fortschritt muß es geben, und zwar sehr großen.... Doch dieser
Fortschritt muß ein echter Fortschritt sein, ein Vorwärtsschreiten im
Glauben, nicht eine Abänderung desselben [vere profectus sit ille fidei, non permutatio]. Fortschritt ist dann vorhanden, wenn eine Sache sich in sich selbst entfaltet [amplificetur]. Abänderung hingegen liegt dann vor, wenn eine Sache in eine andere verwandelt wird [transvertatur].
"Was
mithin notwendig ist, ist dies: dass das Verständnis, die Erkenntnis
und die Weisheit, eines jeden Christen einzeln sowohl als auch aller
zusammen, jedes einzelnen Menschen sowohl als auch der Kirche insgesamt,
im Laufe der Jahrhunderte und Zeitalter wachsen und sich entfalten bis
zu ihrem höchsten Grad, jedoch ausschließlich innerhalb derselben
Gattung, das heißt in der einen und selben Lehre, im einen und selben
Sinn, im einen und selben Verständnis. Der Glaube ist Sache der Seele,
doch in dieser Hinsicht gleicht er dem Körper. Der Körper entwickelt
sich im Lauf der Jahre, doch er bleibt stets derselbe. Der Frühling der
Kindheit und die Reife des Alters sind zwei sehr verschiedene Dinge,
doch derjenige, der Greis geworden ist, ist derselbe wie jener, der
einst Kind war. Ändern sich auch die Körpergröße und das Aussehen eines
Menschen, seine Natur bleibt unverändert, und seine Person ist dieselbe
... Soviele Glieder, wie sein Körper in der Kindheit hatte, hat er auch
im Alter. Und wenn etwas gewachsen ist im Lauf der Zeit, hat es schon
zuvor existiert im Embryo. Im Greis erscheint nichts Neues, nichts was
nicht schon im Kind verborgen gewesen wäre. ...
"Es
ziemt sich, dass auch die Lehre des christlichen Glaubens diesem Gesetz
des Fortschritts folgt, dass sie an Festigkeit gewinnt mit dem Alter,
an Breite und Feinheit im Verlauf der Zeiten, jedoch immerdar
unverändert bleibt, unverderbt, vollständig und vollkommen in allen
Dimensionen ihrer Teile, in allen ihren Gliedern und Sinnen
gewissermaßen, ohne die geringste Abweichung, ohne die geringste
Schmälerung ihres Inhalts, ohne die geringste Verschiebung der gesetzten
Grenzen....
"Benutzen
wir ein Bild: Unsere Vorväter säten vormals in den Acker der Kirche
Weizen - den wahren Glauben. Es wäre höchst unangebracht und unrecht,
wenn wir, ihre Nachkommen, anstatt des echten Weizens der Wahrheit das
Unkraut des Irrtums und der Fälschung ernten würden. Es darf keinen
Widerspruch geben zwischen dem Ende und dem Anfang. Wenn wir legitime
Nachkommen sind, werden wir vom gesäten Weizen dasselbe ernten, nämlich
den Weizen der wahren Lehre, und dies um ein Vielfaches. Die alten
Pflanzen mögen sich unter guter Pflege und Düngung üppig entfalten, doch
ihre Eigenschaften bleiben unverändert. Sie mögen zunehmen an Größe und
Formenvielfalt, doch die Natur jeder Art muß immerdar dieselbe
bleiben...
"Was
immer der Glaube der Väter in den Acker der Kirche Gottes gesät hat -
dasselbe sollen die Söhne mit großer Sorgfalt anbauen und pflegen, damit
in ihr dasselbe gedeiht und blüht, fortschreitet und zur Vollkommenheit
gelangt. Denn die Dogmen der himmlischen Philosophie [coelestis philosophiae dogmata] müssen zwar im Laufe der Zeit wie der Weizen sortiert, verfeinert und poliert werden [excurentur, limentur, poliantur], doch man darf sie nicht abändern, verzerren oder verstümmeln." [73]
Die
Art, wie die Heiligen Väter die Aufgabe der Kirche verstanden, die
dogmatischen Wahrheiten der göttlichen Offenbarung zu sanktionieren und
zu formulieren, zeigt uns die Akte des Vierten Oekumenischen Konzils
(451), welche Kaiser Markianos übersandt wurde. Darin schreiben die
Konzilsväter unter anderem: "Das Bekenntnis von Nikäa reicht aus für die
Gläubigen. Doch man muß denjenigen den Weg versperren, die den Glauben
zu verderben suchen, damit dem Bekenntnis von Nikäa nichts Neues
hinzugefügt werde und damit die Neuerungen der Häretiker bloßgelegt
werden."[74]
So
war zum Beispiel der orthodoxe Glaube bezüglich des Heiligen Geistes
für die Gläubigen ausreichend formuliert mit den Worten: "Ich glaube an
den Heiligen Geist", doch der Pneumato-machen [75] wegen fügten die
Väter des Zweiten Oekumenischen Konzils hinzu: "... an den Heiligen
Geist, den Herrn, Der ausgeht vom Vater". Desgleichen war im Bekenntnis
von Nikäa die Lehre über die Inkarnation des Logos Gottes ausreichend
formuliert mit den Worten: "Er kam herab, inkarnierte Sich und wurde
Mensch". Doch der Teufel täuschte einige Leute, sodass die einen die
Geburt Gottes aus der Jungfrau leugneten und den Begriff "Theotokos"
(Gottgebärerin) verwarfen. Andere behaupteten, die göttliche Natur des
Sohnes sei veränderlich und dem Leiden unterworfen. Die einen leugneten
das Mysterium der Vereinigung der beiden Naturen im Herrn Christus und
präsentierten das Auftreten Christi als jenes eines gewöhnlichen
Menschen oder eines Propheten, während die anderen den Unterschied
zwischen Seinen beiden Naturen übertrieben stark herausstrichen. Deshalb
empfanden es die Heiligen Väter – z. B. Basilios der Große, Papst
Damasus, die Konzilsväter von Sardica und Ephesos – als notwendig,
weitere Erläuterungen zum Glauben von Nikäa zu geben.
"Doch
man soll nicht meinen, dass man hier innehalten und es dabei bewenden
lassen könne, denn die Häretiker für ihren Teil halten nicht inne.
Selbst der heilige Kyrillos von Alexandria, in seinen Briefen an die
Westlichen, an Proklos von Konstantinopel und Johannes von Antiochia,
bezeichnete es als notwendig, über zusätzliche Erläuterungen zum Glauben
nachzudenken." [76]
[1] Der hier leicht gekürzt wiedergegebene Text bildet den ersten Teil des einleitenden Kapitels des theologischen Hauptwerks des hl. Justin (Popović, 1894-1979, s. Das Synaxarion am 25. März und Heilige Altväter der Gegenwart, Chania 2007), seiner mehrbändigen "Dogmatik", die er unter den Titel Orthodoxe Philosophie der Wahrheit stellte (serbische Originalausgabe Pravoslavna Filosofija Istine publ. in Belgrad 1932, 1935 1978, franz. Ausgabe Philosophie orthodoxe de la Vérité, Ed. L'Age d'Homme, Lausanne 1992-1997, griech. und engl. Ausgaben in
Vorbereitung). Übersetzung aus dem Französischen vom Kloster des hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2011.
Vorbereitung). Übersetzung aus dem Französischen vom Kloster des hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2011.
[2] Das griechische Wort "orthodox" setzt sich aus zwei Elementen zusammen: ὀρθώς = wahr, richtig, und δοκῶ = ich denke, glaube, erachte, halte für, beschließe. Das Wort "Orthodoxie" (serb. Pravoslavlje) bedeutet mithin: rechtes Denken, rechter Glaube (das slawische Wort bedeutet auch: rechte Gottesverehrung). Das Gegenteil der Orthodoxie ist die Heterodoxie (von ἕτερως = anders, und δοκῶ): "anderer Glaube, anderes Denken".
[3] Siehe z.B. Klemens von Alexandria (150-215), Stromata VIII, 5 (PG 9,581).
[4] Siehe u.a. Xenophon, Anabasis, III,3; Ciceron, Quaest. acad. IV, 9, Seneca Epist. 95. In diesem Sinne auch nennt der hl. Isidoros von Pelousion den Philosophen Sokrates "Legislator der attischen Dogmen" (Brief 11, PG 78,185).
[5] Die im vorliegenden Text jeweils in eckigen Klammern eingefügten griechischen und lateinischen Zitate stehen so im serbischen Originaltext des hl. Justin.
[6] Siehe z.B. hl. Ignatios von Antiochia der Gottträger († 113) im Brief an die Magnesier 13,1, ferner Barnabas-Brief (um das Jahr 100) 1,6.
[7] Siehe Hl. Kyrillos von Jerusalem (315-386), 18 Katechesen an die Täuflinge, Katechese 4,3; 4,2; 5,2; 4,2.
[8] Hl. Gregor der Theologe (330-390), Homilie 40,45 (Über die Heilige Taufe).
[9] Hl. Gregor von Nyssa (331-395), Brief 24.
[10] Hl. Johannes Chrysostomos (344-407), Kommentar zum Buch Genesis, Homilie 11,5.
[11] Hl. Vinzenz von Lérins (5. Jh.), Commonitorium prim. 18 (PL 50,664).
[12] Siehe 6. Oekumenisches Konzil (680), Dekret 1.
[13] Hl. Gregor von Nyssa, Über die Auferstehung Christi. Siehe auch Klemens v. Alexandria, Stromata III,2; VI, 15; Theodoret von Kyros, Brief an Johannes von Antiochia.
[14] Hl. Ignatios v. Antiochia, Brief an die Magnesier, 13; Hl. Basilios d. Große, Über Psalm 46, 4; Hl. Johannes Chrysostomos, Homilie über den Brief an die Galater, I, 1.
[15] Hl. Ignatios v. Antiochia, Brief an die Epheser, 13.
[16] Hl. Athanasios d. Große (295-373), Homilie über Matthäus, 9.
[17] Hl. Gregor von Nyssa, Über die Auferstehung Christi und Über das Leben des Hl. Ephrem d. Syrers.
[18] Theodoret von Kyros (5.Jh.), Kirchengeschichte 1,1.
[19] Hl. Gregor von Nyssa, Über die Seele und die Auferstehung.
[20] Hl. Vinzenz von Lérins, Commonitorium prim. 23 (PL 50,669).
[21] Gemeint ist insbesondere das, was sich auf die Gottesanbetung und die Hl. Mysterien (Sakramente) bezieht.
[22] Hl. Basilios d. Große (329-379), Über den Heiligen Geist, 27,2.
[23] Hl. Gregor von Nyssa, Gegen Eunomios, 12, sowie Leben des hl. Ephrem des Syrers; hl. Johannes Chrysostomos, Kommentar zum Brief an die Galater, Homilie 9,1.
[24] Hl. Kyrillos von Alexandria (380-444), Über den Propheten Amos; hl. Johannes Chrysostomos, Kommentar zum Evangelium nach Matthäus, Homilie 21,23; hl. Gregor von Nyssa, Über die Seele und die Auferstehung.
[25] Sechstes Hl. Oekumenisches Konzil (680), Kanon 1.
[26] Der hl. Ignatios von Antiochia verkündet den Christen: "Bemüht euch, euch zu festigen durch die Dogmen unseres Herrn Jesus Christus und der heiligen Apostel" (Brief an die Magnesier, 13).
[27] Dies zeigt der hl. Gregor von Nyssa, wenn er sagt, die Erkenntnis Gottes als Schöpfer, Fürsorger und Richter "verlangt, dass unser Leben ohne Sünde sei" (Über die christliche Vollkommenheit).
[28] "Katholisch" ist selbstverständlich gesagt im Sinn des orthodoxen Glaubensbekenntnisses [Anm.d.Übers.].
[29] Siehe Kanon 1 des 6. Hl. Oekumenischen Konzils.
[30] Hl. Basilios der Große, Über das Sechstagewerk, 2.
[31] Hl. Vinzenz von Lérins, Commonitorium prim., 23 (PL 50,669).
[32] Hl. Gregor von Nyssa, Über die Seele und die Auferstehung.
[33] Orthodoxes Glaubensbekenntnis der Katholischen und Apostolischen Kirche des Ostens, Antwort auf Frage 4. [Es handelt sich um den sog. "Katechismus des Metropoliten Peter Mogila v. Kiew", ein Dokument, das 1642 vom Konzil von Iasi gutgeheißen wurde zur Stärkung des Glaubens des orthodoxen Volkes der Moldau, das damals gefährdet war durch den römisch-katholischen und protestantischen Proselytismus. Da die russische Theologie damals stark geprägt war von Einflüssen des scholastischen Westens, was sich auch in diesem Dokument
niederschlug, wurde es erst dann allgemein als orthodox anerkannt, nachdem es von einem griechischen Theologen, Meletios Syrigos, korrigiert worden war. Siehe Fr. James Thornton, The Oecumenical Synods of the Orthodox Church, Etna, California 2007, S. 142. - Anm. d.Übers.]
niederschlug, wurde es erst dann allgemein als orthodox anerkannt, nachdem es von einem griechischen Theologen, Meletios Syrigos, korrigiert worden war. Siehe Fr. James Thornton, The Oecumenical Synods of the Orthodox Church, Etna, California 2007, S. 142. - Anm. d.Übers.]
[34] Ebenda, Antwort auf Frage 96.
[35] Gemeint ist selbstverständlich die Orthodoxe Kirche, die im wirklichen Sinn katholisch ist [Anm.d.Übers.].
[36]Enzyklika der Patriarchen der Katholischen Kirche des Ostens über den Orthodoxen Glauben, Art. 2. [Diese Enzyklika, besser bekannt unter dem Namen "Glaubensbekenntnis des Dositheos", ist das Schlußdokument des Konzils von Jerusalem des Jahres 1672, das unterzeichnet ist vom Patriarchen Dositheos von Jerusalem sowie von den Vertretern der Patriarchen von Konstantinopel, Alexandria, Antiochia und Moskau. Es ist die Antwort der Orthodoxen Kirche auf die Häresie des Kalvinismus. Griech. Originaltext und engl. Übers. in The Creeds of Christendom, With a History and Critical Notes, 6th ed., ed. Philip Schaff, rev. Davis S. Schaff (Grand Rapids, mi: Baker Books, 1998), Band 2. - Anm.d.Übers.].
[37] Zitiert von Eusebios von Cäsarea in seiner Kirchengeschichte, V, 28.
[38] Enzyklika der Patriarchen, loc.cit., Art. 2.
[39] Hl. Hilarius von Poitiers, An Kaiser Konstantius, I,9. Siehe auch hl. Irenäos von Lyon, Gegen die Häresien, V, 21,2.
[40] Hl. Vinzenz von Lérins, Commonitorium prim., 2 (PL 50,640).
[41] Hl. Johannes Chrysostomos, Über Psalm 119.
[42] Theophylakt Erzbischof von Ochrid (1055-1107), Kommentar zum Evangelium nach Matthäus, Vorwort.
[43] Hl. Johannes Chrysostomos, Zum Evangelium nach Matthäus, Erste Homilie, 1.
[44] Hl. Johannes Chrysostomos, Kommentar zum Zweiten Brief an die Thessaloniker, Homilie 4,2.
[45] Hl. Irenäos von Lyon (2. Jh.), Gegen die Häresien, III, 4, 1-2. Siehe auch III, 3: "Die Heilige Schrift ist die erste schriftliche Form der Tradition."
[46] Siehe Fußnoten 28 und 35.
[47] Hl. Irenäos von Lyon, op. cit., III, 4,1; IV 36 und 45. "Alle, die die Wahrheit zu wissen begehren, können sie in jeder Kirche durch die apostolische Überlieferung erfahren, die bekannt ist in der ganzen Welt" (ebenda, III,1).
[48] Hl. Epiphanios von Zypern (310-403), Panarion, 60,6; s. auch 55, 61 und 75.
[49] Hl. Irenäos, op. cit., III, 2. S. auch IV,6.
[50] Klemens v. Alexandria, Stromata I, 7.
[51] Hl. Kyprian von Karthago († 258), Brief 74.
[52] Hl. Basilios der Große, Kanon 91 (= Über den Heiligen Geist, 27).
[53] Hl. Johannes von Damaskus, Über die Ikonen II,12. Sie auch III,41.
[54] Ebenda, I.
[55] Siehe Theodoret von Kyros, Kirchengeschichte, I, 8 und 9; Hl. Athanasios der Große, Über die Dekrete des Konzils von Nikäa, 27; Harduin, Konzilsakten II, 1354; III 450. Kanones 1 und 2 des 6. Oekumenischen Konzils; Kanon 1 des 7. Oekumenischen Konzils.
[56] Hl. Kyrillos von Jerusalem, Katechesen an die Täuflinge 18,23.
[57] 8, Moskau 1820 [Die Quellenangabe ist im franz. Text leider unvollständig. - Anm. d. Übers.]
[58] Ebenda, 7.
[59] Hl. Johannes Chrysostomos, Kommentar zum Brief an die Kolosser, Homilie 5,3.
[60] Hl. Kyrillos von Alexandria, Kommentar zum Johannes-Evangelium, IV, 4 (PG 73,628-629).
[61] Hl. Augustinus, Zum Johannes-Evangelium, 40,9. Siehe auch Über den freien Willen I, 2,4.
[62] Hl. Johannes Chrysostomos, Kommentar zum Philipper-Brief, Homilie 11,2.
[63] Klemens von Alexandria, Stromata II, 4.
[64] Tertullian, Gegen Marcion, I, 2.
[65] Hl. Basilios der Große, Gegen Eunomios, II,24.
[66] Hl. Augustinus, Zum Johannes-Evangelium, 79,1. Siehe auch Hl. Gregor von Nyssa: "Auf den Glauben an den Herrn Jesus Christus gründen wir unser Leben, und durch unsere tägliche Übung im Guten machen wir ihn zum Gesetz unseres Denkens und unseres Tuns." (Über die christliche Vollkommenheit).
[67] Hl. Johannes Kassian, Über die Inkarnation, IV, 6.
[68] Hl. Johannes Chrysostomos, Kommentar zum Hebräer- Brief, Homilie 2,1.
[69] Hl. Basilios der Große, Über den Heiligen Geist, Kap. 14.
[70] Hl. Gregor der Theologe, Rede 31, Über den Heiligen Geist (5. Theologische Rede), Para 25 und 26.
[71] Dieser Regel widerspricht offenkundig die deutsche Übersetzung dieses Glaubensbekenntnisses, so wie sie sich bei den Heterodoxen eingebürgert hat und wie sie leider ohne Korrektur auch von den deutschsprachigen Orthodoxen übernommen worden ist. – Anm. d. Übers.
[72] Hl. Irenäos von Lyon (2. Jh.), Gegen die Häresien, I, 20,2-3.
[73] Hl. Vinzenz von Lérins, Commonitorium prim., 22-23 (PL 50, 667-669).
[74] Siehe Hefele, Conciliengeschichte, Bd. II, 473-474.
[75] Pneumatomachen: Bekämpfer der Göttlichkeit des Heiligen Geistes.
[76] Hefele, loc. cit.
http://www.impantokratoros.gr/hl-justin-dogmen.de.aspx
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