Hl. Justin von Celije
Über Gott als Richter [1]
Die
ewige evangelische Wahrheit über Gott als Richter ist nicht etwas, das
dem menschlichen Bewußtsein gewaltsam aufgezwungen worden wäre, noch
auch ist sie etwas Unnatürliches unter den offenbarten Wahrheiten. Sie
ist ein natürlicher und organischer Bestandteil der göttlichen
Offenbarung im gottmenschlichen Leib der Kirche. Ohne sie wäre die Logik
der Offenbarung nicht göttlich und die gottmenschliche Heilsökonomie
nicht vollständig. Ohne sie wäre die göttliche Offenbarung wie die Welt
ohne den Himmel über ihr.
Sie ist das Dach, das den herrlichen Tempel
der gottmenschlichen Wahrheiten über den Menschen und die Welt überdacht
und vervollständigt. Sie ist von derselben Natur wie die anderen
heiligen Dogmen und Wahrheiten, eines Wesens mit denselben. Sie ist in
ihnen enthalten, so wie diese enthalten sind in ihr. Sie hat den
gleichen Wert und die gleiche lebenspendende Kraft wie sie und kann
nicht getrennt werden von ihnen, denn alle zusammen bilden einen
unzertrennbaren gottmenschlichen Organismus.
Es
ist natürlich, dass Gott der Schöpfer, Erlöser und Heiligende zugleich
auch Richter ist. Denn als Schöpfer hat Er uns aus dem Nichtsein ins
Dasein gebracht und uns als Daseinszweck gegeben, Gott gleich zu werden
kraft der Gottgestaltigkeit unserer Seele, die wir als Gabe von Ihm
empfangen haben, und kraft des Hinwachsens mit dem von Gott gegebenen Wachstum zum vollkommenen Menschen, zum Vollmaß der Fülle Christi (s.Kol
2,19, Eph 4,13). Als Erlöser hat Er uns erlöst von der Sünde, vom Tod
und vom Teufel, indem Er der Natur des Menschen, die durch die Sünde
sterblich geworden war, den Anfang und die Kraft der Auferstehung und
der Unsterblichkeit einpflanzte. Als der Heiligende hat Er uns innerhalb
Seines gottmenschlichen Leibs, der Kirche, alle Mittel der Gnade und
alle göttlichen Kräfte gegeben, damit wir Sein gottmenschliches
Heilswerk annehmen und unsere Bestimmung erfüllen können. Als Richter
wägt, beurteilt und richtet Er unser Verhalten Ihm gegenüber als
Schöpfer und uns selbst gegenüber als gottgestaltiges Geschöpf, Ihm
gegenüber als Erlöser und uns selbst gegenüber als der Erlösung
Bedürftige, Ihm gegenüber als dem Gottmenschen, als Kirche, als dem
Heiligenden, und uns selbst gegenüber als solche, die die Heiligung,
die Vergöttlichung und Vergottmenschlichung empfangen. In diesem Seinem
vierfachen Werk wirkt Gott stets gemäß dem Ratschluß Seines Willens (Eph 1,11), das heißt gemäß Seinem vor Grundlegung der Welt gefaßten Plan für die Welt und den Menschen, mit dem Ziel, alles zusammenzuführen in Christus, was in den Himmeln ist und was auf Erden (Eph 1,10, Kol 1,16-17 und 1,20).
Gott
hat dem Teig des menschlichen Wesens den Sauerteig des göttlichen Eros
für Christus untergemischt, damit der Mensch und mit ihm und ihm
nachfolgend die ganze Schöpfung sich nach Christus sehne und zu Ihm hin
strebe. Daher ist die ganze Schöpfung in ihrem Kern christozentrisch und
strebt zu Christus hin, wird zu Ihm hin getragen als ihrem natürlichen
Zentrum und ihrer Endbestimmung (s. Röm 8,19-23, Kol 1,16-17, Eph
1,4-5).
Während
Gott in Seinem schöpferischen, erlösenden und heiligenden Werk
erscheint als der Pflüger, der Sämann und der Ackerbauer, erscheint er
in Seinem richterlichen Werk als der Schnitter und Drescher. Es ist
völlig natürlich, dass der himmlische Sämann, der den Samen der ewigen
göttlichen Wahrheit großzügig gesät hat in die Erde der menschlichen
Seelen, danach kommt und nachsieht, wieviel von diesem Samen im Morast
der Lüste verfaulte, wieviel davon in den Dornen der Leidenschaften
erstickte, wieviel von dem aufgegangenen Samen verdorrte unter der
sengenden Hitze der Liebe zur Sünde und wieviel davon sich entfaltet und
die göttliche Frucht hervorgebracht hat, und dass er die reifen Ähren
des irdischen Weizens erntet und drischt. Eben deshalb, weil Er der
Pflüger, der Sämann und der Ackerbauer ist, hat Er das Recht, auch der
Schnitter und Drescher zu sein. Eben deshalb, weil Er dem Menschen alle
Mittel gegeben hat, die dieser nötig hat, um das von Gott bestimmte
Ziel seines Daseins zu erreichen, hat Er auch das Recht, der Richter zu
sein.
Es
wäre eine unverzeihliche Ungerechtigkeit, Herausforderung und Tyrannei,
wenn Gott als Richter auftreten würde, ohne zuvor als der Erlöser und
als der Heiligende erschienen zu sein. Ein Gott, der den Menschen nicht
den Weg zum ewigen Leben zeigen, ihnen nicht die ewige Wahrheit sagen
und ihnen nicht die zur Rettung von der Sünde, vom Tod und vom Teufel
erforderlichen Mittel geben wollte, kurz gesagt, der nicht ihr Retter
sein wollte, wäre nicht berechtigt, den Menschen und die Menschheit als
Ganze zu richten. Einem solchen tyrannischen Gott gegenüber hätte die
Menschheit alles Recht, diesem einmütig die Worte des bösen Knechts im
Gleichnis von den Talenten ins Gesicht zu schleudern (s. Mt 25, 24-25).
Wäre
Christus eine solche Art von Gott, wäre es verfehlt, an Ihn zu glauben,
denn in diesem Fall wäre Er nicht der wahre Gott, sondern einer unter
vielen anderen schwachen und selbsternannten Göttern des elenden
Pantheons menschlicher Götzen. Doch da der Gottmensch und Herr Christus
als Erlöser des Menschen und der Menschheit erschienen ist und in Seiner
unaussprechlichen Menschenliebe das überaus schwere Werk der Erlösung
vollbracht und den Menschen alle Gaben des Himmels geschenkt hat, die
nur der Gott der Liebe zu schenken vermag, hat Er das Recht, die Welt
und den Menschen zu richten.
Gewiß,
insoweit der Herr Jesus Christus eines Wesens ist mit Gott dem Vater
und Gott dem Heiligen Geist, ist das Gericht über die Menschheit das
Werk der ganzen Heiligen Dreiheit. Doch damit der rebellische Mensch in
seiner gottfeindlichen Sündhaftigkeit nicht protestieren und geltend
machen kann, dass Gott ja nicht im menschlichen Fleisch gelebt und die
Leiden des Menschen nicht erfahren habe, nicht durch das irdische
Schlangennest gegangen sei und deshalb nicht das Recht habe, die
Menschen zu richten, hat Gott der Vater "das ganze Gericht dem Sohn übergeben" (Joh 5,22) und "einen
Tag festgesetzt, an dem Er die ganze Welt in Gerechtigkeit richten wird
durch einen Mann, Den Er dazu ausersehen und für alle beglaubigt hat,
indem Er Ihn auferweckte von den Toten" (Apg 17,31).
Indem
Gott den Menschen Jesus, den inkarnierten Logos Gottes, zum Richter der
Welt bestimmte, hat Er der Menschheit letzte Gerechtigkeit erwiesen und
den Zyklus Seiner himmlischen Gerechtigkeit auf Erden auf
menschenfreundliche Wese vollendet, sodass die Menschen nicht berechtigt
sind, gegen das Gericht Gottes zu protestieren und zu rebellieren. Der
Gottmensch und Herr Jesus ist nicht nur der Begründer des Glaubens (ὁ τῆς πίστεως ἀρχηγóς), sondern auch sein Vollender (τελειωτίς), der Anfang und das Ende des gesamten göttlichen Plans bezüglich der Welt und des Menschen (Hebr 12,2, s.a. 2,10).
Durch
alle ihre Wechsel und Veränderungen eilt die Schöpfung ihrem Ende
entgegen. Durch alle Tage und alle Nächte eilen alle Menschen und mit
ihnen und ihnen nachfolgend die gesamte Schöpfung dem Letzten Tag
entgegen, an dem das Mysterium dieser Welt und der Menschheitsgeschichte
seine Vollendung finden wird. Alle Tage wie helle Ströme und alle
Nächte wie dunkle Ströme durchbrechen und durchfließen die Schluchten
und Abgründe des Daseins, alle Geschöpfe und die ganze Schöpfung
insgesamt mit sich ziehend zum Letzten Tage hin, in den sie
unvermeidlich münden und in ihm ihren Lauf beschließen müssen. Alles was
innerhalb der Grenzen der Zeit gelebt hat und lebt, wird zwangsläufig
diesen Letzten Tag erreichen und an seinem Ufer landen. Es gibt kein
Lebewesen und kein geschaffenes Ding, das der Strom der Zeit nicht zu
diesem Letzten Tag tragen wird. Mit diesem Tag wird die Existenz der
Zeit enden (Offb 10,7), weshalb er bezeichnet wird als "der Letzte Tag"
(Joh 6,39-40, 6,44, 11,24, 12,48) oder "der Große Tag" (Apg 2,20, Judas
6). Weil er der von Gott bestimmte Tag ist, an dem Gott die ganze Welt
richten wird (Apg 17,13), wird er auch "Tag des Gerichts" genannt (Mt
10,15, 11,22, 11,24, 12,36, 2 Petr 2,9, 3,7, 1 Joh 4,17) und "Tag des
Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes" (Röm 2,5). Da
jedoch das ganze Gericht dem Sohn übergeben worden ist (s. Joh 5,22) und
weil Er es ist, Der am Letzten Tag als Richter erscheinen wird in
Herrlichkeit, wird dieser Tag auch "Tag des Menschensohns" genannt (s.
Lk 17,22-26), "Tag des Herrn" (2 Petr 3,10, 1 Thess 5,2, s.a. Ez 15,5,
Is 2,12. Joel 2,31, Weish 1,14, Mal 4,1), "Tag Christi" (2 Thess 2,2,
Phil 1,10, 2,16), "Tag des Herrn Jesus" (2 Kor 1,14, 1 Kor 1,8, 5,5)
sowie "Tag des Gerichts und des Untergangs der gottlosen Menschen" (2
Petr 3,7 und 2,9).
An
jenem höchst bedeutsamen Tag wird der Gottmensch und Herr Jesus
Christus Sein letztes, Sein endgültiges Urteil sprechen über die gesamte
Geschichte der Welt und des Menschen, über alle Menschen zusammen und
über jeden Einzelnen persönlich. Und so wie Er am Schluß der Schöpfung
alle Lebewesen und alle geschaffenen Dinge prüfte und über alle Sein
Urteil aussprach, wonach sie "sehr gut" waren (Gen 1,31), so wird der
Dreisonnige Herr auch am Letzten Tag, am Ende ihres Gangs durch die
Geschichte, alle Lebewesen und geschaffenen Dinge prüfen und Sein
Urteil über alle aussprechen. Dann wird Er die guten und die schlechten
endgültig voneinander trennen und eine unüberschreitbare und
unüberwindbare Grenze aufrichten zwischen ihnen. Dann wird Er Sein
letztes und unfehlbares Urteil fällen über alle menschlichen Werte. Dann
wird er auf der vollkommenen und genauen Waage Seiner Gerechtigkeit und
Seiner Liebe alle Werke der Menschen wägen, alle ihre Gedanken, alle
ihre Gefühle, alle ihre Begehren, alle ihre Worte. Dann wird das
Mysterium Gottes (Offb 10,7) in bezug auf den Menschen, die Schöpfung,
die Welt, das Universum vollendet werden. Dann werden alle Guten und
alles Gute die ewige Seligkeit erben, das ewige Paradies, das seligste
Reich der Himmel des seligsten Herrn Jesus, alle Bösen aber und alles
Böse die ewige Qual, die ewige Hölle im bitterem Reich der bösen,
gefallenen Engel.
Quelle: http://www.prodromos-verlag.de/
[1] Aus dem Buch Pravoslavna Crkva i ekumenisam ("Die Orthodoxe Kirche und der Ökumenismus"), Thessaloniki 1974. Engl. Übers. Archimandr. Justin Popovitch, The Orthodox Church and ecumenism, Lazarica Press, Birmingham 2000. Dt. Übers. des vorliegenden Textes vom Kloster des Hl. Johannes d. Vorläufers, Chania 2012.
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